Olympische Spiele 2016

Golf bei Olympia: Mundwasser, blinde Bälle und ein Handstand

09. Aug. 2016 von Michael F. Basche in Usedom, Deutschland

Ein Blick zurück auf die ersten beiden Golfauftritte bei Olympia offenbart interessante und kuriose Fakten.

Ein Blick zurück auf die ersten beiden Golfauftritte bei Olympia offenbart interessante und kuriose Fakten. (Foto: Getty/Twitter @SInow)

Geschichte wiederholt sich bekanntlich: Martin Kaymer hat dieser Tage gesagt, er wisse nicht genau, wie‘s sich beim olympischen Golfturnier auf dem Platz anfühlen werde, es seien immerhin seine ersten Spiele. Schon vor 116 Jahren wussten die allerersten Golf-Olympioniken das nicht. Mehr noch: Ihnen war nicht mal klar, dass sie bei Olympia an den Abschlag gingen. Wir haben in der olympischen Golfhistorie gestöbert und etliche Anekdoten sowie manch Kurioses gefunden.

13 Golfmedaillen

Insgesamt sind vor Rio bereits 13 olympische Golfmedaillen vergeben worden. Zehn, davon drei goldene, gingen an die USA, Großbritannien holte sich zwei Ehrenabzeichen, die letzte Medaille, gleichzeitig die vierte Goldmedaille, ging 1904 nach Kanada, namentlich an George Seymour Lyon, den bislang letzten Golf-Olympiasieger.

Die bisherigen olympischen Golfwettbewerbe wurden - wie die damaligen, sich über Monate hinziehenden Spiele insgesamt - im Rahmen der jeweiligen Weltausstellungen veranstaltet. Sein Debüt feierte Golf im Jahr 1900 in Paris, als sich 22 Damen und Herren aus Frankreich, Großbritannien, den USA und Griechenland im Compiègne Club, 80 Kilometer von der französischen Hauptstadt entfernt, zu „Championnats Internationaux“ einfanden. Von Olympia nämlich war keine Rede, Medaillen im heutigen Sinne gab‘s ebenfalls nicht. Dementsprechend hatten die Teilnehmer keine blasse Ahnung, dass sie eigentlich um olympischen Lorbeer spielten, glaubten vielfach, ein x-beliebiges Golfturnier zu bestreiten.

Mutter mit Tochter im gleichen Wettbewerb

Bei den Herren gewann der Amerikaner Charles Sands, Headpro im St. Andrews Golf Club zu Yonkers/ New York, das Zählspiel über 36 Loch, sein überhaupt erst zweites und auch letztes Golfturnier, mit 82 sowie 85  Schlägen vor den Briten Walter Rutherford und David Robertson. Sands trat 1900 und 1908 außerdem im Tennis an. Die Damen absolvierten ein Neun-Loch-Zählspiel, es triumphierte Margaret Ives Abbott mit 47 Schlägen vor ihren US-Landsfrauen Pauline Whittier sowie Daria Pratt.

Sie war damit die erste amerikanische Olympiasiegerin überhaupt, ohne sich dessen bis an ihr Lebensende bewusst gewesen zu sein, hatte sich vielmehr bei der Damenmeisterschaft von Paris gewähnt, statt Gold bekam sie ohnehin eine Porzellanschüssel. Ihre Mutter Mary Perkins Ives Abbott nahm übrigens – da sie die Tochter nun schon mal nach Paris begleitet hatte – ebenfalls teil, eine bislang einmalige Konstellation bei Olympia. Sie wurde mit 65 Schlägen Siebte.

Stars fehlten schon 1904

Favorisiert waren die Amerikaner auch 1904, als die 3. Olympischen Spiele der Neuzeit zur Weltausstellung in St. Louis ausgetragen wurden. Dass Golf vor 112 Jahren weiterhin im olympischen Programm war, ist nach den schlecht organisierten Spielen von Compiègne dem US-Unternehmer Albert Lambert zu verdanken. Der Begründer des Mundwasser-Labels „Listerine“, hatte in Paris mitgespielt, weil er zufällig geschäftlich in Europa war, und überredete seinen Schwiegervater Colonel George McGrew, den Mitbegründer des Glen Echo Country Clubs, sich mit der Anlage um die Ausrichtung eines olympischen Golfturniers zu bewerben.

Schon damals hatte Olympia-Golf unter Missachtung der Stars zu leiden. Für die US-Spieler war der Start beim Heimspiel Ehrensache. 74 meldeten, zudem drei Kanadier, die britischen Golfgrößen indes glänzten durch Abwesenheit. Damengolf war ebenfalls nicht vorgesehen, dafür ein Mannschaftswettbewerb, der wegen des ausschließlich nordamerikanischen Teilnehmerfelds von Teams unterschiedlicher US-Golforganisationen bestückt und von der Western Golf Association gewonnen wurde.

Putting unter Flutlicht

Die Geschichte des sportlichen Multitalents George S. Lyon, der zum Golf kam, weil ihn seine Cricket-Kumpels versetzt hatten und er sich während des Wartens mal auf dem benachbarten Golfplatz an den Hickoryschlägern seines Freunds John Dick versuchte, ist an anderer Stelle schon erzählt. Sein Matchplay-Husarenstück bei strömenden Regen gegen den favorisierten und 26 Jahre jüngeren amtierenden US-Amateur-Champion Howard Chandler Egan war freilich nur einer von zahlreichen Wettbewerben, die das golfverrückte Duo Lambert/McGrew inszenierte: „Long-Drive“-Aktionen, Wettbewerbe für Nichtqualifizierte, Ausgeschiedene und Teams sowie einen Puttwettbewerb auf dem nagelneuen und mit Flutlicht ausgestatteten Übungsgrün.

Auf dem Weg zum Gold musste Versicherungsvertreter Lyon gegen Egan manch knifflige Situation meistern, beispielsweise einen „Stymie“, eine „blinde Balllage“, auf dem siebten Grün. Die Kugel des Gegners lag genau in Lyons Puttlinie. Aufnehmen und ggfs. den Ballmarker versetzen darf man erst seit 1952, der Kanadier musste um Egans Ball herum putten und verlor prompt das Loch.

Kein Spielmodus 1908

Am Ende dieses 24. September 1904 dann lieferte der 46jährige Olympiasieger eine weitere Kostprobe seiner Fitness: Im Clubhaus entledigte sich Lyon der durchnässten Jacke und des Huts, schwang sich in den Handstand und lief auf Händen quer durch den Bankettsaal, um sich von Colonel McGrew ehren und mit Medaille wie Pokal auszeichnen zu lassen.

Ausgerechnet, als Olympia anschließend mit London 1908 erstmals „auf der Mutterinsel“ des Spiels gastierte, war Golf pikanterweise nicht mehr im Programm. Das Turnier wurde abgesagt, weil sich die Offiziellen aus England und aus Schottland nicht auf einen Spielmodus für die 108 Loch in den Golfclubs Royal St George's, Prince's and Royal Cinque Ports zu einigen vermochten, ihre Akteure blieben folglich zu Hause. Sportsmann George Lyon, der zur Titelverteidigung tatsächlich aus Kanada anreiste, war der einzige Teilnehmer und hätte kampflos seine zweite Goldmedaille gewonnen, lehnte allerdings ab.

Hitler wollte 1936 Golf in Berlin

Den nächsten Versuch, Golf wieder olympisch zu spielen, gab‘s ausgerechnet in Berlin 1936, als Hitler seinen Propagandaminister Joseph Goebbels diesbezüglich beim IOC vorstellig werden ließ. Doch die Ober-Olympier wimmelten den Nazi mit der Ausrede überschrittener Meldefristen ab, stattdessen fand zwei Wochen nach den Spielen ein Ersatzwettbewerb mit sieben Nationen in Baden-Baden statt, das britische Duo Arnold Bentley/Tommy Thirsk fuhr nach vier Runden Zählspiel mit dem Pokal heim.

1996, bei den Spielen in Atlanta, sollte gar ein Olympiaturnier auf dem Masters-Platz stattfinden. Billy Payne, der heutige Chairman von Augusta National, einst nicht mal Mitglied, aber Chef des örtlichen Organisationskomitees, hatte den IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch bereits hinter sich. Doch der Plan scheiterte am Veto des afroamerikanischen IOC-Präsidiumsmitglieds Anita DeFrantz, das ehemalige Ruder-Ass plädierte heftig gegen den damals immer noch erklärt rassistischen und Frauen nicht zugänglichen Club. Die mäßige Resonanz von Spielerseite gab der Idee schließlich den Rest, im Januar 1993 zog Payne seinen Vorschlag zurück.

So dauerte es bis 2009, bevor bei der IOC-Vollversammlung in Kopenhagen mit 63 zu 27 Stimmen das Comeback des Golfsports endgültig für Rio beschlossen wurde. Auf geht‘s, Martin Kaymer und Alex Cejka!


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