Ein Foto geht um die Welt: Zwei Golfer stehen auf einem Fairway des Club Campo de Golf de Melilla, während im Hintergrund ein gutes Dutzend Flüchtlinge über den hohen Zaun klettern will, der die spanische Exklave in Nordafrika von Marokko trennt. Sie hoffen auf Europas Boden Asyl zu finden. Man sieht rechts einen Polizisten auf einer Leiter, der den Grenzübertritt verhindern will, andere Einsatzkräfte der Guardia Civil sollen sich hinter den Büschen am Zaun befinden. Derweil setzt das golfende Pärchen sein Spiel fort, er allerdings beobachtet die Szene in beider Rücken.
En Melilla esta mañana: Marca España. pic.twitter.com/faErGU5BmJ
— asoc.PRODEIN melilla (@PRODEINORG) 22. Oktober 2014
José Palazón, Leiter der Menschenrechtsorganisation „Pro.De.In“ in Melilla, hat das Bild am Donnerstag gemacht und via Twitter veröffentlicht. Seither geht sein Motiv als eindrückliches Synonym für die laut "RP Online" „brutal unterschiedlichen Lebenswelten von reichen Europäern und afrikanischen Flüchtlingen“ durch nahezu sämtliche Medien.
„Zwischen sorglosem Idyll und Verzweiflung“
Es ist wahrlich ein Bild von enormer und beklemmender Symbolkraft: Hier der Sport mit dem Image des elitären Freizeitvergnügens, im mediteranen Raum zudem mit dem Odium des hemmungslosen Wasserverbrauchs zulasten von Mensch, Tier und Landwirtschaft behaftet. Dort, am anderen Ende der sozialen Hierarchie, die Flüchtlinge aus Afrika, die dem Krieg, dem Terror oder dem Hunger und meist auch allen Apokalypsen zugleich entrinnen wollen. „Ein Dutzend afrikanischer Flüchtlinge, gefährlich balancierend zwischen … Luxus und Misere, zwischen sorglosem Idyll und Verzweiflung“, schreibt der "Schweizer Tagesanzeiger".
„Diese Menschen haben überhaupt keine Rechte. Es ist Niemandsland hier“, sagte Palazón der örtlichen Zeitung "El Local". Einer der Golfer hat sich ebenfalls geäußert: „Man fühlt sich ein wenig schuldig, aber wir haben keine Schuld.“ Bei "ZEIT Online" ist unter dem Titel „An Europas Armutsgrenze“ zu lesen: „Auf der einen Seite kämpfen Flüchtlinge um ihr Leben, auf der anderen verbessern Golfer ihr Handicap.“
„Das Bild ist keine Montage“
Mancher wird jetzt sagen: Ausgerechnet Golf! Warum schon wieder Golf als Klischee für die Ambivalenz zwischen heiler Welt und, in diesem Fall, dem afrikanischen Flüchtlingsdrama? Schnell tauchten ohnehin Stimmen auf, die das Foto wegen der perspektivisch trotzdem gleichen Größe von Golfern und Flüchtlingen für eine wohlfeile Montage halten und ideologische Kontraste vermuten, die auf dem Rücken des Golfsports ausgetragen werden. Spaniens größte Tageszeitung "El Pais" indes hat festgestellt: „Das Bild ist keine Montage.“
Die schlichte Wahrheit ist, dass der Neun-Loch-Platz des Club de Campo de Golf direkt an die Barriere zwischen der Exklave und Marokko grenzt. Europa hat an zwei Stellen eine Landverbindung zu Afrika, beide sind spanisches Staatsgebiet: Ceuta an der Straße von Gibraltar, auch in Marokko, und eben Melilla.
Das Stadtgebiet ist 13,4 Quadratkilometer groß und zum Schutz vor illegaler Einwanderung mit drei bis zu sechs Meter hohen Zäunen samt Stacheldraht sowie Bewegungsmeldern, Nachtsichtgeräten und Kameras gesichert. Engmaschige Netze sollen das Überklettern der Zaunreihen erschweren, die paramilitärische spanische Polizeieinheit Guardia Civil patrouilliert.
Golfplatz von der EU finanziert
„Nach Schätzungen des Madrider Innenministeriums“, so "RP Online", „leben in Marokko etwa 40.000 Afrikaner aus Ländern südlich der Sahara, die auf eine Gelegenheit warten, nach Spanien zu gelangen… 14 Menschen sind beim Versuch, über den meterhohen Zaun zu steigen, schon ums Leben gekommen.“
Und natürlich haben die Zeitungen noch einen vermeintlich obszönen Nebenaspekt ausgegraben. "ZEIT Online" zitiert "El Pais", wonach die Europäische Union einen Großteil der zwei Millionen Euro an Baukosten für den Golfplatz finanziert habe. Pikanterweise aus einem Entwicklungsfond, „der sich die ,Beseitigung von Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Regionen‘ zur Aufgabe macht – innerhalb der EU, versteht sich“. Mit Blick auf den Zaun wirkt das in der Tat zynisch.
Bei aller Dramtik, halte ich das Bild für inzeniert. Die perfekte Perspektive, der Zeitpunkt mit Golfern am Abschlag, die Entspanntheit und das Verharren auf dem Zaun, die enorme Brennweite des Objektivs… Für ein paar Euro lassen sich sicherlich eine Gruppe Schwarzafrikaner zum gewünschten Zeitpunkt und Ort verordern. In der professionellen Fotografie ist für solche Zufälle wenig Platz.
Sehr geehrter Herr Hahne,
die Möglichkeit eines inszenierten Motivs ist im Text dargestellt. Bislang sprechen indes alle Indizien und Aussagen für die Darstellung, wie sie in den zitierten Medien vermittelt wurde. Sollten widersprüchliche Fakten auftauchen, werden wir darüber selbstverständlich ebenfalls berichten.
Mit freundlichen Grüßen
Auch wenn es inszeniert wäre zeigt es genau das, was unerträglich ist: Hier das Elend der Menschen die fliehen wollen oder müssen, dort ein Hort der Glückseligkeit, des gepflegten gewässerten Wohlstands-Rasens auf dem eher wohlhabende Europäer (auf afrikanischer Scholle!) ihrem Freizeitvergnügen frönen, während die „Elenden“ von dieser schönen Welt nur wenige Zentimeter, aber eben doch Welten entfernt sind.