"Es ist schwer, in diesem Moment nicht mit Esther anzufangen, das ist ganz klar. Aber ich will es mal versuchen", sagt Marcus Neumann, Vorstand Sport des Deutschen Golfverbandes, als er nach Esther Henseleits Gewinn der olympischen Silbermedaille nach einer Bilanz der letzten zwei Wochen gefragt wird. "Zuvorderst muss man sagen, diese Olympische Spiele waren für den Golfsport das Beste, was uns passieren konnte." Eine fantastische Kulisse habe der Albatros-Kurs des Le Golf National geboten und die Zuschauerinnen und Zuschauer eine grandiose Atmosphäre erzeugt, freut sich Neumann. "Diese Wahnsinnsstimmung, die Spieler wurden getragen, aber nicht nur die Franzosen."
Auch Henseleit hatte sich vom Publikum "getragen" gefühlt, sagte sie nach dem Medaillen-Coup. Dass ihr Leistung am Finaltag Erwartungen weckte, schreckte Neumann nicht: "Wenn ich mir jemanden aussuchen hätte können, diesen Druck auszuhalten über die letzten Löcher und dann noch einen draufzulegen, hätte ich mir keine besser wünschen können als Esther. Sie hätte ich da hingestellt. Ich hatte Tränen in den Augen. Ich konnte sie ja kaum angucken. Es geht schon wieder los...," wird er emotional.
"Vision Gold" ebnet Weg für Leistungssprung im deutschen Golf
Natürlich ist dieser Erfolg auch einer der Trainerinnen und Trainer, der Funktionäre und des Verbandes, die alle hinter der Entwicklung Henseleits stehen. Aber der Sport-Vorstand will die Silbermedaille keinesfalls für jemand anderes reklamieren als die Sportlerin, die sie sich erarbeitet hat. "Zuerst", stellt Neumann klar, sei es ein Erfolg der "Spielerin und ihres direkten Umfeldes". Dass es dahinter ein System gäbe, das vor zwölf Jahren mit dem Projekt "Vision Gold" die Weichen für zukünftige Erfolge gestellt hat, freut ihn nichtsdestotrotz. Trainingskonzeption, Kaderzusammenstellung und Sportförderung waren auf das große Ziel einer olympischen Medaille ausgerichtet worden.
"Es gibt so viele Faktoren", versucht er den in seiner Entstehung überraschenden Medaillenerfolg zu erklären, der aber für den Verband in Wiesbaden die Früchte jahrelanger Arbeit darstellt. "Ohne ein System, ohne das Wettkampfsystem, das wir umgestellt haben, ohne die Deutsche Golf Liga, ohne die Turniere die wir flankieren", hätte es diesen historischen Moment wohl nicht gegeben. Dass ausgerechnet eine Deutsche die erste Medaille einer europäischen Nation bei Olympischen Spielen seit der Wiederaufnahme des Sports 2016 gewinnt, ist bezeichnend. Seit Jahren verbessern sich Amateurmannschaften und räumen Medaillen bei Europameisterschaften und internationalen Wettkämpfen ab. Die Zahl der Spielerinnen und Spieler aus Deuscthalnd auf den Profitouren hat sich ebenfalls vervielfacht.
"Es muss ja alles stimmen"
"Es muss ja alles stimmen, wenn man so einen Erfolg haben will. Da sind sicherlich viele beteiligt gewesen", sagt Neumann über die gemeinsam geleistete Arbeit. Dass diese in eine Silbermedaille gemündet ist, ist sicherlich das Highlight. "Das macht natürlich unheimlich glücklich und stolz und bestätigt den Weg." Doch auch Alexandra Försterling, Matti Schmid und Stephan Jäger will Neumann erwähnt wissen. Die "Jungs" würden ihm immer noch schreiben, weil ihnen die Zeit in Paris bei den Spielen viel zu kurz erschien. Verdenken kann man ihnen das nicht. Erstens erlebte man die Golferinnen und Golfer, ihre Bundestrainer sowie die Verbandsfunktionäre als Einheit, die sich gut kennt, schätzt und unterstützt. Und zweitens waren die Golfturniere im Le Golf National von einer Stimmung geprägt, von der man bisher kaum zu träumen wagte.
Alle Spielerinnen und Spieler seien fantastisch unterstützt worden, erinnert sich der Direktor der Leistungssportabteilung des Verbandes. "Es war so kundiges Publikum hier. Zur richtigen Zeit haben sie geklatscht, zur richtigen Zeit haben sie gejubelt, zur richtigen Zeit waren sie leise. Es war einfach nur alles fantastisch." Fast jeden Tag war die Anlage in der Nähe Versailles ausverkauft und es kamen auch viele, die im Rahmen der Olympischen Spiele zum ersten Mal mit dem Golfsport in Berührung gekommen sind. Dass sich Marcus Neumann am Samstagabend von all dem "überwältigt" fühlte, kann man nachvollziehen.