Die PGA Tour hat ein Problem. Es trägt den Namen Jake Knapp. Oder Nick Taylor. Oder Grayson Murray. Oder Chris Kirk. Dieses Quartett hat die Hälfte der bislang absolvierten acht Saisonturniere gewonnen. Doch in den US-Medien fragt man: „Jake Who?“ Der 29-jährige Kalifornier war mal Nachtclub-Türsteher und trägt ein beziehungsreiches Tattoo; er kam aus dem Nichts und triumphierte bei der Mexico Open. Murray und Kirk fanden bislang vor allem durch Alkoholbeichten Erwähnung, trocken feiern sie nun Turniersiege. Taylors Erfolg wurde von den Exzessen im TPC Scottsdale überschattet; das spannende Play-off gegen Charley Hoffman interessiert überdies kaum noch jemanden, weil derweil in Las Vegas schon der Super Bowl lief. Will heißen: Alles nicht das, was Glamour und Hype erzeugt, den ein Milliardenbusiness wie der professionelle Golfsport nun mal braucht.
„Sehr gute Spieler, aber wer zum Teufel sind sie?“
Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: die sportlichen Leistungen der vorgenannten Professionals in allen Ehren. Auch beweisen ihre Außenseitersiege die personelle Breite auf der Tour. Und ihre individuellen Geschichten sind gewiss erzählenswert. Doch die Fans entlang der Fairways reißt all das nicht vom Hocker. Sie wollen Stars sehen. Spieler, die ihnen ein Leuchten in die Augen zaubern. Kurz: Idole. Ersatzweise Professionals, an denen man sich reiben kann.
Der einstige Tour-Spieler Mark Lye, mittlerweile 71 Jahre alt, schrieb am Ende der Mexico Open im Kurznachrichtendienst „X“: „Ich weiß nicht, wie die PGA Tour dieses Leaderboard rechtfertigen will. Sehr gute Spieler, aber wer zum Teufel sind sie?“ Nun mag man sich gleichermaßen fragen: Wer in aller Welt ist Mark Lye? Er hat 1983 die Bank of Boston Classic gewonnen, ein Turnier, das es gar nicht mehr gibt. Und er mal Sechster beim Masters (1984). Sei’s drum.
I don’t know how the PGA Tour can defend this leaderboard in Mexico. Very good players, but who the hell are they??? This is a new low….
— mark lye (@letitflye) February 24, 2024
Die Strahlkraft von Matsuyama und Clark
Freilich, Lye bringt die Situation auf den Punkt. Auch das Magazin „The Athletic“ notierte unlängst: „Die PGA Tour befindet sich mitten im besten Teil ihres Kalenders vor den Majors, doch es scheint ihr der Saft zu fehlen. Jedenfalls sind es nicht unbedingt die Eyecatcher und Publikumslieblinge, die gerade am besten spielen.“ Da hilft auch der Verweis auf die anderen bisherigen Turniere wenig: Ja, mit Hideki Matsuyama und Wyndham Clark waren beim Genesis Invitational bzw. beim AT&T Pebble Beach Pro-Am immerhin zwei Majorsieger ganz vorn. Doch die beiden reißen einen in Sachen Strahlkraft ebenfalls nicht unbedingt vom Hocker. Die Tour misst das ja seit einiger Zeit mit dem Player Impact Program: Keiner der bisherigen 2024er-Champions gehört zur Beletage des PIP. Was zu beweisen war.
There have been some fun tournaments on the PGA Tour this year (Amex, WM), but I don't think I'm alone in sensing a general lack of juice.
One way to measure that: track the results of last year's Player Impact Program winners.
— Garrett Morrison (@garrett_TFE) February 17, 2024
Matthieu Pavons Farmers-Insurance-Erfolg in Torrey Pines glänzt allenfalls beim Blick durch die europäische Brille. Und beim American Express hat der seinerzeitige Amateur-Weltranglistenerste Nick Dunlap zwar eine besondere Story geschrieben, doch die lebt nicht zuletzt vom Namen des Amateurs, der gleiches 1991 vollbracht hatte: Phil Mickelson. Womit wir bei des Pudels Kern wären.
Antagonisten, Bad Boys, polarisierende Typen
Irgendjemand hat vor geraumer Zeit geunkt, die LIV Golf League hätte der PGA Tour alle Schurken geklaut, und die interessantesten Typen gleich mit. Stimmt irgendwie. Jeder Sport braucht Lichtgestalten. Notfalls in verschiedenen Helligkeitsstärken, ok. Aber gleichermaßen bedarf es der Antagonisten, der Bad Boys, mindestens der Typen, die polarisieren.
Gemeint sind narzisstische Charaktere wie Mickelson oder Brooks Koepka, der intellektuelle Smartie Bryson DeChambeau, die Wutnickel Jon Rahm und Tyrrell Hatton, Unsympathen wie Patrick Reed oder Talor Gooch, der ständig stänkert. Selbst Dustin Johnson, der lange Lulatsch, zieht Rampenlicht – einfach, weil er halt „D. J.“ ist, samt It-Lady an der Seite und einer sportlichen Überfigur namens Wayne „The Great One“ Gretzky als Schwiegervater.
Hoffnungen ruhen auf dem fragilen Rücken des Tigers
Die PGA Tour hat dem aktuell wenig entgegenzusetzen. Während LIV das Comeback von Anthony Kim mit einem dramatischen Teaser inszeniert, duellieren sich Rory McIlroy, Max Homa, Rose Zhang und Lexi Thompson bei „The Match“ nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei weiß man spätestens seit dem Grant Thornton Invitational vom vergangenen Dezember, wie gut Mixed-Formate beim Fan ankommen.
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Bezeichnend ist, dass alle Hoffnungen auf dem fragilen Rücken von Tiger Woods ruhen, der kaum den verbrauchten Körper des Superstars über die Runde tragen kann. Den höchsten Unterhaltungswert hat ansonsten wohl Twitter-König Homa. Kevin Kisner mit seiner spitzen Zunge ist gut, muss dafür aber in einer Kommentatorenbox sitzen. Der Happy-Gilmore-Effekt von Will Zalatoris hat sich während seiner Auszeit nach der Rücken-OP verflüchtigt. Scottie Scheffler ist doch wieder mehr mit seinen Puttproblemen denn mit Turniersiegen beschäftigt und ohnehin nicht der Charismatischste.
Alle, die da sonst noch im Vorderfeld der Turniere über die Fairways wandern – Thomas, Morikawa, Scott, Day, Finau und Co. – sind sicherlich nette Kerle. Aber nett ist auch der Hund vom Nachbarn, hat mal ein PR- und Marketingexperte zum Thema Identifikationsfiguren gesagt. Patrick Cantlay und Xander Schauffele hätten mit Attitüde und Aussagen vielleicht wenigstens das Zeug zum Bad Boy, das muss man allerdings auch wollen.
Dringend gesucht: Heldenfigur namens McIlroy
Und sowieso sind sie alle letztlich nur die B-Besetzung. In der ersten Reihe stehen neben Woods vor allem Rory McIlroy und Jordan Spieth, jeder ein Protagonist ureigener Provenienz. Doch „Golden Boy“ Spieth wird vermutlich nie wieder so stabil und siegessicher sein wie zu seinen Hochzeiten – wenn er sich nicht gleich durch eine unkorrekte Scorekarte um alle Chancen bringt.
McIlroy wiederum hat sich als erster Paladin der PGA Tour verausgabt – unbenommen zwischenzeitlicher Achtungserfolge – und mit seinem Sinneswandel in Sachen LIV in eine seltsame Situation manövriert. Das Publikum ist des Lamentos eh längst müde. Und so bleibt zu hoffen, dass der Nordire sein Pulver nicht verschossen hat: Beim Masters ist er gefordert wie nie zuvor. Nicht nur, weil der Karriere-Grand-Slam endlich gelingen soll: Die PGA Tour braucht dringend einen Helden. Selbst wenn’s bloß einer mit aufpolierter Rüstung ist.
Mit Verlaub, angesichts der ansonsten immer sehr geschätzten Kommentare des Kollegen Basche – das ist totaler Quatsch. Die „no-name-Gewinner“ haben halt diese Turniere gewonnen, ganz regulär. Sei es, weil die „Helden“ nicht teilgenommen haben; sei es, weil die „Helden“ dabei eben mal verkackt haben. Wie es eben auch „Helden“ beim Golfen passiert. Das Interesse der Werbeindustrie nach „verlässlichen“ Siegern ist nachvollziehbar, das Interesse von Fans und Laien auch nachvollziehbar, aber eher naiv bzw. lächerlich. Es ist gerade andersherum – wenn eben auch ab und zu mal „No Names“ gewinnen können, spricht das für den Sport und den Underdog-Mythos. Und die Liv ist eh nur eine Saudi-Blutgeld-Veranstaltung – was da an eventuell spektakulären Spielern, die aber dann auch wieder nur verkacken, aufgefahren – bzw. gekauft – wird, ist eh irrelevant.