Was für eine Achterbahnfahrt: Am Freitag hatte Justin Rose noch einen Drei-Meter-Putt auf der 18 verwandeln müssen, um den Cut der 147. Open Championship zu schaffen. Am Samstag kratzte der Olympiasieger mit einer 64 am 63er Platzrekord von Tommy Fleetwood. Und gestern schob sich der 37-Jährige unter den Augen von Landsmann Harry Kane, dem Kapitän der englischen Fußball-Auswahl, mit einer 69 auf 6 unter Par und den geteilten zweiten Platz vor.
⚽️ ??????? @England captain and @FIFAWorldCup top goalscorer @HKane is at Carnoustie for Championship Sunday. ? below to see who the best golfer in the England team is ? pic.twitter.com/2CXsV9dOXH
— The Open (@TheOpen) July 22, 2018
Es war Roses bestes Open-Ergebnis, seit er vor 20 Jahren als Amateur in Royal Birkdale Vierter wurde und anschließend ins Profi-Lager wechselte. Erstaunlich genug, dass der US-Open-Champion von Merion 2013 ausgerechnet mit seinem-Major „dahoam“ bislang nicht zurecht kam: Als Berufsgolfer war der geteilte sechste Rang 2015 in St. Andrews bislang die Top-Platzierung, beim Masters 2017 war Rose dafür Zweiter, bei der PGA Championship 2012 immerhin geteilter Dritter. Da kann man schon mal von einem kleinen Heim-Komplex sprechen. „Das Ergebnis jetzt ist absolut positiv für mich“, gab Rose denn auch ziemlich folgerichtig zu Protokoll. „Es beweist, dass ich dieses Turnier gut spielen und gewinnen kann. Dieser zweite Platz hat meine Liebe zur Open erneuert.“
Umarmung der Kinder als Lohn für Woods
Gemischte Gefühle: Tiger Woods in Führung bei einer Open Championship, wie lange hat man auf diese Zwischenmeldung warten müssen! Am Ende war‘s dann doch nicht das 15. Major, sondern Platz T6. „Die Gelegenheit war da, und ich weiß, dass dieser Stachel der verpassten Chance durchaus spürbar sein wird“, erklärte der 42-Jährige. „Andererseits bin ich gesegnet, hier sein zu dürfen, bei all dem, was hinter mir liegt.“ Nach dem verpassten Birdie-Putt auf der 18, der ihn zum geteilten Zweiten gemacht hätte, ging er umgehend auf seine Kinder zu und nahm sie in die Arme: „Ich hoffe, Ihr seid ein wenig stolz, dass Euer Papa es so gut wie möglich versucht hat.“ Beim letzten Majorsieg des Tigers, der US Open 2008 in Torrey Pines, war Tochter Sam ein Jahr alt und Sohn Charlie noch gar nicht geboren. „Jetzt verstehen sie ein wenig, was ich früher geleistet habe“, so Woods. „Eigentlich kannten sie nur meinen Leidensweg, die Schmerzen, die ich aushalten musste, und sind bloß froh, dass wir wieder zusammen Fußball spielen können. Mann, das ist einfach ein tolles Gefühl.“
Episode am Rande: Auf Bahn 11 traf Woods‘ Ball nach einem missglückten Annäherungsschlag aus dem Rough einen Zuschauer an der Schulter, der Abpraller wiederum schlug einem zweiten das Handy aus den Fingern. Dieser freilich, Colin Hauck aus Annapolis/US-Bundesstaat Maryland, hatte das Ganze gefilmt, und so gibt es jetzt auf Twitter einen Film vom „Treffen mit Tiger“:
In case anyone cares, this was the video I was taking when I was struck by my DEAR FRIEND @TigerWoods pic.twitter.com/6tH1SCdTU8
— Colin Hauck (@ColinHauck) July 22, 2018
Rory McIlroy: „Mir sind die Löcher ausgegangen“
Schadensbegrenzung: Er war nah dran, aber es hat nicht gereicht. Für Rory McIlroy fühlte sich der Ausgang dieser 147. Open Championship dennoch „nicht wie eine Niederlage an“. „Ich finde, es war eine gute Woche“, sagte der Nordire über seinen geteilten zweiten Platz nach der 70er Finalrunde (-1). Für den vierfachen Majorsieger hätte das Geschehen auf den Carnoustie Golf Links durchaus noch fortgesetzt werden können, mit einem Stechen beispielsweise: „Ich war auf alles vorbereitet, machte die Schläge, die ich brauchte, habe vor allem die 17 und die 18 gut gespielt. Leider kam dann nichts mehr hinzu, mir sind leider die Löcher ausgegangen.“
Spieth: „Mein bestes Golf kommt erst noch“
Absturz: Am Sonntag Morgen wandelte Titelverteidiger Jordan Spieth noch auf den Spuren von Young Tom Morris, abends freilich stand die schlechteste Finalrunde des Texaners bei einem Major in den Büchern. Ohne ein einziges Birdie beendete Spieth die Open mit einer 5-über-Par-76, die ihn auf den geteilten neunten Platz zurückwarf. „Ich habe den Frust schon überwunden“, meinte der 24-Jährige 20 Minuten später. „Man muss es einfach akzeptieren.“ Mehr noch, er konnte den Tagen von Carnoustie jede Menge Positives abgewinnen: „Mein Touch mit dem Putter ist zurück, überhaupt habe ich mein ganzes Spiel wieder beisammen. Ich habe geduldig agiert, mich nie hängen lassen, hatte mein Temperament im Griff. Um zu siegen, muss man sich nur oft genug in die richtige Position bringen. Mal zahlt es sich aus, mal halt nicht. Und mein bestes Golf kommt sowieso erst noch.“
Eddie Pepperell mit Kater zur 67er Runde
Brummschädel: Irgendwann im Lauf der gestrigen Finalrunde tauchte ein neuer Name im vorderen Bereich des Leaderboards auf, Eddie Pepperell hatte den nahezu windfreien Vormittag genutzt und eine 67er Runde ins Clubhaus gebracht. Doch es lag nicht nur am Wind. „Ich hatte einen ziemlichen Kater“, bekannte der 27-jährige Engländer. „Nach meinem frustrierenden Samstag hatte ich ein paar Drinks zuviel, und bin völlig ohne Erwartungen und Ambitionen in den Sonntag gegangen. Ehrlich gesagt war es mir egal, ob ich 69 oder 73 schieße.“ Natürlich beeilte sich Pepperell zu versichern, dass er nicht an der Flasche hänge und damit zugunsten niedriger Runden auch nicht anfangen wolle: „Ich trinke wirklich eher wenig, aber ich bin halt ein Leichtgewicht, das geht dann schnell.“
Silbermedaille für Paul Lawries Coffeeshop-Kraft
Vorzeitiger Erfolg: Sam Locke stand schon am vergangenen Freitag als erster Sieger dieser Open Championship fest. Der 19-jährige Schotte überstand als einziger Nicht-Profi den Cut und war damit designierter Empfänger der traditionellen Silbermedaille für den besten Amateur, so wie sie schon 2007 Rory McIlroy in Carnoustie gewann. Die Tipps fürs Bestehen auf dem Linkskurs erhielt er übrigens von Paul Lawrie, dem Champion des Jahres 1999; Locke jobbt im Coffeeshop von Lawries Golf Akademie.
Carnoustie ließ Magie zu
Ein Loblied auf den sanften Linkskurs: Nach all dem Ballyhoo um das Set-up für die US Open in Shinnecock Hills war es eine Wohltat, die 147. Open Championship ohne Nörgeleien über Carnoustie zu verfolgen. Dem R&A und dem örtlichen Superintendenten Sandy ist ein großes Lob auszusprechen: Sie versuchten nicht, „Car-Nasty“ zu verschlimmbessern, sondern verließen sich auf die gegebenen Schwierigkeiten des Geläufs am Fluss Tay – so wie es die USGA auch im Fall von Shinnecock Hills hätte tun sollen. Und sie hielten die Grüns von Carnoustie mit angemessenen Wassergaben spielbar, was nicht nur US-Pro Pat Perez zu einem großen Kompliment veranlasste.
So erlebte die Golfwelt ein grandioses Major auf dem dennoch knallharten und extrem anspruchsvollen Kurs: mit Birdies und Eagles, interessanten Fahnenpositionen sowie Runden von unter vier Stunden. Und niemand dürfte unbelohnte gute Schläge, ins Nirgendwo abrollende Bälle, letztlich das krampfhafte Ringen von Weltklassegolfern ums Par vermisst haben. Carnoustie, schrieb das Portal „Golf WRX“, „lässt Magie zu – sofern der Zauberer den Zauberstab angemessen einsetzt“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
1, 2, 3: Nachwuchsgolfer mit besonderer Strecke
Kann man mal so machen: Auch fernab von Carnoustie wurde in den vergangenen Tagen großes Golf gespielt. Zum Beispiel bei einem Turnier der American Junior Golf Association im Country Club of Halifax in Massachusetts, wo dem 16-jährigen Conor Kelly eine ganz besondere Erfolgsstrecke gelang. Der gebürtige Thailänder lochte auf Bahn acht ein Eisen 5 über 181 Meter zum ersten Hole-in-one seines Golferlebens, spielte anschließend auf der 439 Meter langen Neun einen Albatros, indem er aus 201 Metern den Ball per Eisen 4 versenkte und legte anschließend auf der 10 noch ein Birdie nach. Die Zahlenfolge für die drei Löcher liest sich nicht schlecht: 1, 2, 3.
Is this the greatest feat in golf history?!
Conor Kelly just went back-to-back Ace-Albatross at #JrGolfHub pic.twitter.com/XEJwAFIsnA
— AJGA (@AJGAGolf) July 19, 2018
Behindertengolfer im Fokus
Zum Schluss: Der European Tour gebührt das Verdienst, die Behindertengolfer in den Fokus gerückt zu haben. Bei der Europameisterschaft in Portugal Anfang Juni ist ein beeindruckender Film über die Golfer mit körperlichen Beeinträchtigungen entstanden, die trotz hochklassiger Fähigkeiten mit Ball und Schlägern oft etwas am Rande des Aufmerksamkeitsfokus stehen. Hier die Kurzversion: