Zwei Mal klein gleich ein Mal groß? 18 vollwertige Golflöcher auf der Kurzplatz-Fläche von 35 Hektar? Das klingt nach der berühmten Magiernummer „Kaninchen aus dem Hut“, von der ein jeder weiß: Zaubern heißt meist tricksen. Im Golf freilich wird diesbezüglich keineswegs getrickst, und es braucht gleichermaßen weder Hut noch Kaninchen. Bloß ein kreatives Hirn und ein geschickt planendes Händchen, schon gelingt die wundersame Bahnenvermehrung. Ganz ohne Hokuspokus und Simsalabim.
Umbau in Patting: Mut zur Innovation
In Riedering bei Rosenheim lässt sich das eindrucksvoll erleben. Seit dieser Saison ist auf der Golfanlage Patting-Hochriesblick der erste aus unterschiedlichen Richtungen bespielbare Golfplatz Deutschlands in Betrieb; Patting-Patronin Marie Bauhuber bewies Mut zur Innovation und ließ den von Vater Thomas Loferer 1991 eröffneten Kurs zu einem 9-Loch-Ensemble umbauen, das sich sowohl im als auch gegen den Uhrzeigersinn angehen lässt. „Reversible“ lautet das Zauberwort, umkehrbar halt. So, wie es auf der Kirmes im „Music Express“ oder in der „Raupe“ immer zur allseitigen Begeisterung heißt: „Die nächste Fahrt geht rückwärts!“
Federführend in Patting war Dr. Hendrik Hilgert von der Design-Firma Infinite Variety Golf, sein niederländischer Partner Frank Pont hat 2018 mit The Links Valley im Gelderland bei Ermelo überhaupt den ersten Reversible Course in Europa kreiert.
Martina Eberl schlug den goldenen Ball
In den USA hingegen ist das Konzept bereits vielfach realisiert. Star-Architekt Tom Doak schuf in Roscommon/Michigan mit The Loop ein spektakuläres Beispiel, die beiden individuellen Routings von jeweils 18 Loch nutzen zumeist die selben Fairways und Grüns, werden nur aus unterschiedlicher Richtung angegangen. „Es sind zwei Kurse in einem“, sagt Doak dazu.
Das Resort „The Retreat and Links at Silvies Valley Ranch“ in Oregon hat seit Mai 2018 ein solches „doppeltes Lottchen“. Unlängst wurde in Atlanta der legendäre Bobby-Jones-Golfplatz als Reversible Course wiedereröffnet. Und in Patting schlug dieser Tage Ex-Tour-Spielerin Martina Eberl, die Amateurin Europameisterin und Team-Vize-Weltmeisterin sowie zehn Jahre im Profigolf unterwegs war und heute u. a. in München eine Golfakademie führt, den goldenen Ball zur offiziellen Eröffnung der bereits einige Wochen zuvor freigegebenen Spielwiese.
Zusammen fast 5.000 Meter und Par 70
Während Frank Pont bei The Links Valley rund 40 Tee-Boxen arrangieren und anlegen musste, um der Kessellage gerecht zu werden, die weite Teile des verfügbaren Geländes zu einem schwierigen Fall werden ließ, orientiert sich das Routing von Patting-Hochriesblick sehr deutlich an den klassischen Vorbildern. Die meisten Bahnen der beiden Schleifen, nach Bergformationen des Umlands benannt, nutzen zumeist dasselbe Fairway und auch das entsprechend folgende Grün. Dabei führt die Wendelstein-Runde im Uhrzeigersinn und die Hochries-Runde gegen den Zeigerlauf über das 9-Loch-Ensemble im Chiemgau, das so zu einem fast 5.000 Meter langen 18-Loch-Kurs mit einem Par von 70 arrangiert werden kann.
Seltene Kunst der Platzgestaltung
Die Gestaltung einer von beiden Seiten bespielbaren Golfbahn verlangt jede Menge designerische Fähigkeiten, ein Schuss Genialität schadet ebenfalls nicht. Die Konturen müssen wohl erwogen sein, ebenso das Arrangement der Hindernisse, von der Anordnung der Grünkomplexe ganz zu schweigen. Egal in welche Richtung, der Golfer muss stets auf einem autonomen Parcours unterwegs sein, nicht bloß gegen den eigentlichen Verlauf spielen. Reversible Design ist eine seltene Kunstform der Platzgestaltung.
Der Old Course ist auch hier das Vorbild
Das Musterexemplar hingegen dürfte jedem Golfer auf diesem Planeten besten bekannt sein. Es liegt an Schottlands Ostküste. Der Old Course in St. Andrews, als Blaupause allen Golfplatzwesens ohnehin Pflichtanschauung für jeden Architekten, taugt selbst in dieser Hinsicht als Vorbild. Die originäre Spielrichtung nämlich führte über das heutige 18. Fairway aufs 17. Grün, dann vom aktuellen 18. Abschlag übers 17. Fairway zum 16. Grün – und so weiter. „Ich möchte den Old Course einmal rückwärts spielen, bevor ich diese Welt verlasse“, hat Tiger Woods mal geschwärmt.
Bei alldem ist das Reversible-Prinzip nicht bloß ein Jonglieren kreativer Köpfe mit der Spielrichtung. Vielmehr ein probates Mittel, um selbst auf kleinem Raum einen großen Golfplatz anzulegen. „Gegenüber einem herkömmlichen 9-Loch-Platz bietet es die doppelte Vielfalt, während der Flächenbedarf, die Investitionen und die Pflegekosten nahezu gleich sind“, verdeutlicht Hilgert. Letztlich müssen vor allem die Grüns funktionieren und die Fahnen aus einem Umkreis von fast 360 Grad anspielbar sein. Das verbietet verrückte Konturen und überbordende Bebunkerung.
„Nie auf dem falschen Weg“
Natürlich muss im Layout eines Reversible Course nicht jedes Fairway zwingend das Äquivalent der jeweiligen Gegenrunde sein, nur weil der Old Course so funktioniert. Auf Patting beispielsweise ist die Wendelstein-Zwei ein Par 3, dessen Grün aus nördlicher Richtung ins Visier genommen wird. Das selbe Grün freilich wird auf der Hochries-Runde als Abschluss der Par-5-Drei von Westen her angegangen. Und im Links Valley ist Bahn zwei des Nordkurses ein Par 4, dessen Grün von der Sieben des Südkurses als Par 3 genutzt wird. Ausnahmen bestätigen halt die Regel vom golferischen Vor und Zurück.
Am Ende des Tages soll der Reversible Course zuvorderst schlicht und einfach funktioniert und Spaß gemacht haben. Oder um mit Tom Doaks The-Loop-Auftraggeber Lew Thompson zu sprechen: „Egal, wie herum man spielt: Es fühlt sich nie an, als sei man auf dem falschen Weg!“