Maaier und der Autor kennen sich schon eine Weile. 2018 gab es die erste Begegnung, auf der dritten Bahn von The Links Valley in den Niederlanden. Eigentlich ging es um Reversible Course Design, um den vorwärts- wie rückwärts spielbaren Platz, als das Ungetüm um eine Kuppe kurvte: ein Reel Master der Marke Toro, groß, rot, brummend, mit leerem Sitz, rotierendem Gelblicht und der Aufschrift „Roboter-Mäher – 10 Meter Abstand halten“. Vorsorglich. Denn Maaier ist ohnehin nie auf Konfrontationskurs; er meidet Nähe, Sensoren lassen ihn rechtzeitig beidrehen. Bloß ein bisschen verpeilt ist der scheue Gesell – derart in seine Arbeit vertieft, dass er ab und an die Orientierung verliert und via App um Hilfe rufen muss: „Lost“.
Mit oder ohne Fahrer: Alle wollen nur mähen
Im Lauf der Jahre ist man Maaier und Vertretern seiner Sippe immer wieder auf den Fairways der Welt begegnet. Einigen Golfern sind sie nach wie vor suspekt, weil vermeintlich führer- und womöglich rücksichtslos. Andere machen sich Sorgen um den Gesundheitszustand des Maschinenführers; oder es wird gewitzelt, der Lenker liege saumselig irgendwo im Gras und halte ein Nickerchen. Dabei wollen doch alle nur mähen.
Die Spezies hat längst Zuwachs bekommen: jünger, kleiner, gleichermaßen selbstfahrend und ferngesteuert, aber nachhaltig – statt Diesel mit (Sonnen-)Strom aus Ladestationen am Rand der Fairways oder tief im Rough. Landauf, landab haben es die Roboter aus den Gärten auf die Golfanlagen geschafft. Es ist eine friedliche Revolution der Maschinen, sie summen statt zu brummen, wirken eher putzig denn provokant. Nur unverbesserliche Bedenkenträger finden was Bedrohliches daran, wenn sich so ein emsig-einsames Kerlchen auf einem vergleichsweise riesigen Fairway förmlich verliert.
„Auf der Suche nach etwas Nachhaltigem“
Ortstermin in Mecklenburg-Vorpommern: WINSTONgolf am Rand der Landeshauptstadt Schwerin will laut Direktorin Stefanie Merchel mit dem Credo Keep Green „komplett klimaneutral“ bis 2030 sein; die 45-Loch-Anlage darf als Vorreiter in Sachen Mäh-Roboter angesehen werden. 2019 wurden für den Meisterschaftsplatz WINSTONopen die ersten Maschinen vom Marktführer Husqvarna angeschafft. „Wir waren auf der Suche nach etwas Nachhaltigem“, erzählt Jordan Tschimperle, der Supervisor Greenkeeping. „Es gibt jedoch keine Aufsitzmäher mit Elektroantrieb.“
Daher wandte man sich den weitgehend autonomen Helferlein zu, als Husqvarna einen Fairway-Kit mit Schnitttiefe bis zehn Millimeter herausbrachte, verlegte rund um den WINSTONopen und den Kurzplatz WINSTONkranich die notwendigen Begrenzungs- und Stromkabel in einer aufwändigen Tiefe von 20 Zentimetern – „weil wir ja aerifizieren müssen“ (Tschimperle) –, suchte geeignete Garagenplätze am Rand der Spielbereiche, definierte Sonderplatzregeln und startete ins Zeitalter der Robotik.
„Ad definitionem keine autonomen Maschinen“
Wobei: Autonom ist nur bedingt richtig. „Unsere Roboter dürfen auf dem Golfplatz selbstständig fahren, weil wir unter die Deutsche Industrie Norm, DIN, für Roboter fallen“, erklärt Sebastian Spörl, Manager Golf der Husqvarna Group. „Unsere Geräte sind ad definitionem keine autonomen Maschinen, sondern gehören zur DIN EN 50636-2-107, die für Rasenmäher-Roboter gemacht ist und beschreibt, wie ein Roboter aussehen muss, damit er in Europa selbstständig auf öffentlichen Flächen fahren darf. Für autonom fahrende Maschinen gibt es derzeit kein Gesetz und wird es vor 2026 nicht geben.“
Zurück nach Mecklenburg-Vorpommern. Seit März 2023 ist der WINSTONlinks ebenfalls aufgerüstet. Das besondere Design des Parcours im Stil schottischer Küstenkurse, die zahllosen Modulationen, Fältelungen und Verwerfungen bedurften eines besonderen Aufwands: mehr Mäher, eine zentimetergenaue GPS-Steuerung über Antennen auf den Dünenkämmen und die Installation von Solarmodulen, die den „Saft“ generieren. Die Garagen wiederum stehen im Schatten der Hügel; die Mäher ziehen dank der entsprechenden Programmierung auf dem „Heimweg“ keine Schneisen. „Unser Roboterprojekt ist quasi ein eigenes Ökosystem“, betont Erwan Le Cocq, der im WINSTON-Personalbogen als „Spezialist für Roboter und Technologien“ geführt wird, indes getrost als Herr der Maschinen bezeichnet werden kann.
WINSTONgolf: Größte Roboterflotte in Europa
In Le Cocqs Büro über der Maschinenhalle sieht es ungefähr so aus wie in der Schaltzentrale des Miniatur Wunderland in Hamburg. Auf diversen Computerbildschirmen flimmern die Karten der Mäher-„Gang“ mit Standorten und Arbeitsradien der einzelnen Geräte. 123 Mäher sind auf den 45 Loch im Einsatz, das macht die Roboterflotte von WINSTONgolf zur größten in Europa. Dazu kommen der Rangemäher und der Ballsammler von Echo. Dieses System samt automatischer Transportanlage mit Waschbereich und Druckluftsystem ist auf deutschen Golfanlagen vielfach verbaut, der Golfclub Syke bei Bremen und das Ostsee Golf Resort Wittenbeck an der Mecklenburger Bucht sind zwei Beispiele.
„Der Roboter fasst pro Ladung 250 Bälle und schafft 10.000 Rangebälle am Tag“, erklärt Sykes Clubmanager York Stolte. „Nebst all den auf der Hand liegenden Vorteilen, inklusive der Treibstoffeinsparung beim konventionellen Ballsammel-Auto, gibt es ja den Aspekt des Arbeitsschutzes“, ergänzt sein Wittenbecker Kollege Christian Wißotzki: „Niemand muss mehr einen schweren Bällekorb aus dem Sammler in den Wascher wuchten.“ In Wittenbeck hat sich die rund sechsstellige Investition binnen drei Jahren ausgezahlt; die Anlage benötigt zudem weniger Rangebälle, weil der Roboter ständig alle Murmeln von der Wiese klaubt.
Weder Konkurrent noch Gefahr für Arbeitsplätze
York Stolte liefert ein wichtiges Stichwort, wenn er den Echo-Ballsammler als „neuen Mitarbeiter“ vorstellt, der „unsere Greenies stark unterstützt“. Kollege Platinenhirn nimmt niemandem den Job weg, er ist weder Konkurrent noch gefährdet er Arbeitsplätze. Allenfalls hilft die technische Entwicklung, dem gleichsam im Greenkeeping nicht unbekannten und demnächst mancherorts drohenden Fachkräftemangel zu begegnen. Und sie eröffnet ein Mehr im Berufsbild, spricht eine digital-affine Zielgruppe potenzieller Arbeitskräfte an, die mit Apps, Bits und Bytes aufgewachsen ist und überdies vielfach eine sehr genaue Vorstellung von Work-Life-Balance hat.
„Ich war sehr offen für den Umstieg auf die Robotermäher, weil ich auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen war und die Vorteile hinsichtlich Personal und Qualität erkannt habe.
Es geht nicht darum, irgendwen zu ersetzen, sondern die Tools helfen uns, mit weniger Aufwand bessere Entscheidungen zu treffen. Aber man muss halt bereit sein, um- und vorwärts zu denken.“
Jordan Tschimperle, Supervisor Greenkeeping bei WINSTONgolf
Die Roboter hingegen arbeiten auch zu ungeliebten Zeiten klaglos. „Wer stutzt am Wochenende das Gras?“, fragt Jordan Tschimperle eher rhetorisch. „Wenn der Platz den meisten Spielbetrieb hat, wenn die meisten Gäste da sind, wenn es am schönsten sein soll, dann hast du die schlechteste Qualität auf den Fairways – weil letztmals am Freitag gemäht wurde.“ Den Maschinen ist egal, ob Werktag, Sonntag oder Feiertag ist; ihre Betriebsamkeit kompensiert die flächendeckende Wirkweise der Großmäher. Sie sind selbst zu nachtschlafender Zeit voll bei der Sache, wuseln im Stockdunklen über die Wiesen. WINSTONgolf macht sich das zunutze und hat die Flotte vor allem auf dem Linksplatz so programmiert, dass sie ausschwärmt, wenn das Tageslicht schwindet, und bei Sonnenaufgang fertig ist.
Mehr Zeit für andere Arbeiten
Also, wegen der Umrüstung auf Roboter kürzt keiner am ohnehin knappen Personal. „Die Maschinenkameraden räumen uns Zeit für andere Arbeiten ein, die wegen des stundenlangen Mähens ansonsten liegenbleiben“, stellt Tschimperle klar. „Erst hieß es natürlich: Ach, ihr wollt uns entlassen? Nee, habe ich gesagt, ihr müsst künftig nur ein bisschen was anderes machen.“ Die Fairwaypflege intensivieren beispielsweise, oder Baumaßnahmen und Ausbesserungsarbeiten.
Eingespart wird an anderer Stelle. Vornehmlich an Treibstoff; 5.000 Liter weniger pro Jahr sind es bei WINSTONgolf. Oder an Düngemitteln. Weil die Roboter durch den permanenten Betrieb immer nur die Spitzen der Grashalme kappen, das Schnittgut dadurch viel feiner ist, der Boden die minimalen Mengen besser verdaut und sich durch die Kompostierung eine kontinuierliche natürliche Nährstoffversorgung ergibt.
Verbesserte Rasenqualität, gesundes Bodenleben
Gleichermaßen reduziert sich der Filzaufbau – allein schon durch das geringe Gewicht eines Robotermähers von 75 Kilogramm im Vergleich zu 3.000 Kilogramm eines Großmähers. „Weniger Stress für das Gras durch permanent sanftes Mähen, weniger Verdichtung, weniger Dünger, gesunderes Bodenleben, kein Bedarf an Hohl-Aerifizierung“, zählt Tschimperle auf. Überdies hat die Hochschule Osnabrück im Rahmen einer zweijährigen Studie nachgewiesen, dass sich durch den Einsatz von Roboter-, mithin Sichelmähern gegenüber konventionellen Spindelmähern die Rasenqualität verbessert.
Herzchen und lustige Sprüchlein
Sogar der Kommunikation mit den Golfern können die schnurrenden Gesellen dienlich sein. Weil sie Gesprächsthema sind und Nachfragen generieren. Anfangs paarten sich bei WINSTONgolf wie überall Vorbehalte mit Vorwitz. Für Skeptiker hat Marketing-Direktorin Claudia Mull Herzchen auf die Gehäuse gepappt, um die Harmlosigkeit zu unterstreichen. Und für allzu neugierige Sportkameraden, die es sich nicht verkneifen konnten, den Aus-Schalter zu bedienen oder den Roboter auf den Rücken zu drehen, gab es Aufkleber mit Sprüchlein wie „Don’t Touch Me“.
Sowieso: Wenn die Sensoren auf Objekterkennung eingestellt sind, umrundet der Mäher jedes Hindernis, das größer ist als sechs Zentimeter – egal, ob Igel, Bäume oder Golferbeine. Fährt die Maschine hingegen „auf Stoß“, schiebt sie mit 1,5 Kilogramm gegen einen Widerstand. Hält der dem Druck stand, dreht der Roboter ab. Tschimperle hat es „eigenfüßig“ getestet. Auch Hündin Molly hat keine Scheu, der Labrador-Vizsla-Mischling findet die Maschinchen nicht mal sonderlich interessant.
Schonung für Kleinstlebenwesen unter der Schnitthöhe
Da der Roboter im Gegensatz zum Spindelmäher keinen Sog erzeugt und das Gras nicht nach oben zieht, werden alle Lebewesen geschont, die unter der Schnitthöhe existieren. Gefährdet sind lediglich Kleinsttiere, die im Bereich zwischen Schneidemaß und Gehäuse unterwegs sind. Andererseits fallen die Lärmemissionen eines dieselbetriebenen Großmähers komplett weg, den Roboter hört man in drei bis vier Metern Entfernung nicht mehr.
„Ballfraß“ kommt hingegen vor, ebenso gelegentliche Gehäusetreffer. Doch in der Regel schubst der Roboter die Kugel mit seinen rotierenden Klingen lediglich 30 bis 40 Zentimeter zur Seite. Und ein 20 mal 20 Zentimeter großes Ziel auf einer Fairwayfläche von 5.000 Quadratmetern zu treffen, ist seltener Spielzufall oder ein echter Kunstschuss.
Der ökologische Wert hat kein Preisschild
Summa summarum werde sich für den WINSTONlinks die Investition mit den zahlreichen Helferlein und der anspruchsvollen Installation von etlichen Funkstationen und Solaranlagen binnen sechs Jahren amortisieren, glaubt Jordan Tschimperle. Bei standardmäßigem Umstieg auf die moderne Robotertechnik lässt sich laut Herstellerangaben schon nach zwei, drei Jahren eine Amortisation erzielen.
Der ökologische Wert hat eh kein Preisschild. „Wenn man sich die Lebensgeschichte eines Dieselaggregats im Vergleich zum Roboter ansieht, von der Produktion der ersten Schraube bis zur Entsorgung, kommt man auf eine CO₂-Einsparung von 83 Prozent – bezogen auf dieselbe Flächenleistung“, verdeutlicht Husqvarna-Manager Spörl. „Auf einem Golfplatz lässt sich mit keinem anderen Werkzeug so viel CO₂ einsparen wie mit Robotern.“
Schafe „können nur Rough“
Nachhaltiger sind wahrscheinlich nur Schafe. „Haben wir auch“, sagt Tschimperle. Aber die wolligen Vierbeiner mähen nicht so gleichmäßig, hinterlassen unerwünschten Dünger und sind nicht so trefferresistent, oder? Tschimperle lacht: „Deshalb können die nur Rough.“