Es soll ja einige spektakuläre Golflöcher geben, wo man von erhöhter Position auf ein sehr viel tiefer liegendes Grün abschlägt, mit umwerfenden Ausblicken und so weiter, aber dieses hier ist vielleicht das schönste: Gut 50 Meter unter mir flattert die Fahne mit der Ziffer 15 in einer leichten Seebrise, links begrenzt ein schmaler Vegetationsstreifen das Par-drei-Loch, jenseits leuchten der „weißeste“ Pudersand und das „türkisblaueste“ Wasser der Welt, auf der Karte mit dem lieblichen Namen „Anse Georgette“ verzeichnet. Was für ein herrliches Fleckchen, was für ein Blickerlebnis von fast unbeschreiblichem Reiz.
Paradies für Strandlieger und Taucher
Mein Ball ruht vergessen auf dem Tee, ich stehe am Rand des Plateaus und kann die Augen nicht von der Naturpracht lassen. Selbst in der Rückschau nicht. Dies ist eine Urlaubserinnerung, eine ziemlich lebendige offenkundig, und ich sollte wohl mal erzählen, wo ich in meiner Retrospektive überhaupt bin: Auf der Seychellen-Insel Praslin, im „Lémuria Resort“ mit seinem gleichnamigen Golfplatz, entworfen von Designer Rodney Wright und dem französischen Senior-Tour-Pro Marc Farry, eröffnet im Jahr 2000. Natürlich sind die Granit- und Korallen-Eilande zuvorderst ein Paradies für Strandlieger, Ozeanplantscher, Schnorchler und Taucher. Doch wir Golfer müssen deshalb nichts entbehren.
Der Kurs – das vorweg – ist ein perfektes Ensemble, gut komponiert, hat fein gestaltete Löcher und anspruchsvolle Elemente, mit der rechten Dosierung für den Parcours einer Urlaubsdestination. Die Eins beispielsweise lässt dem Slicer in uns rechts einigen Spielraum. Erst recht willkommen, weil man mangels Driving Range einen Kaltstart hinlegen muss.
Sieben Grad südlich des Äquators
Wobei, „Kaltstart“ ist relativ. Auf den Seychellen, etwa 800 Kilometer vor Afrikas Ostküste und lediglich sieben Grad südlich des Äquators, hat‘s im Monatsmittel nie weniger als 24 Grad, maximal 31, 32 im April, als beste Reisezeit gilt Februar bis Oktober. Danach regnet es schlichtweg öfter als die durchschnittlichen zehn Tage pro Monat.
Die ersten Neun des Platzes sind eine feuchte Angelegenheit, nicht allein, weil gerade ein Wolkenband genau über dem Archipel der rund 115 Inseln hängt: Die Golfstrecke ist gespickt mit Wasserhindernissen, schmale Fairways ziehen sich durch Mangroven-Dickichte und Palmen-Spaliere, im tropischen Busch keckern exotische Vögeln, zirpen und summen seltsame Insekten. Man wähnt sich in einer anderen Welt, tatsächlich auf dem fabulösen Kontinent Lemuria, von dem das Resort seinen Namen bezieht.
Viel Wasser im Spiel
Ab Loch vier ziehen die Anforderungen nach dem entspannten Auftakt spürbar an, das lange Par vier (386 Meter) hat rechts Wasser und vor der Fahne verläuft ein Bach. Hinter dem Grün erwischt mich ein sintflutartiger Schauer. Wenigstens weicht der mit einem besonders dicken Tropfen auch die unliebsame Zahl auf, die ich für dieses Loch in die Scorekarte gekritzelt habe.
Loch sechs wiederum ist ein fabelhaftes Par fünf, 461 Meter lang, mit seiner sichelförmigen Gestalt und dem See linker Hand ein klassischer Vertreter des Prinzips „Trau Dich was und Du wirst belohnt“, gemeinhin „Risk-&-Reward“ genannt. Warum indes mussten die Architekten unbedingt noch eine Wassernase vors Grün ziehen?
Anreise per Hubschrauber?
Am Anfang des Fairways liegt überdies der Hubschrauber-Landeplatz des Resorts. Grundsätzlich erfolgt die Anreise via Linienflug nach Mahé, der Hauptinsel des Archipels, das topographisch zu Afrika gehört und ungefähr auf der Höhe von Kenia und Tansania liegt. Von dort bringen zweimotorige Zubringerflugzeuge die Touristen an ihre Ziele, mit dem entsprechenden Geldbeutel freilich lässt sich das ebenso per Rotorflügler absolvieren.
Ich bin derweil an Bahn acht angelangt, dem schwersten Loch des Platzes. „Furchteinflößend“ sagt das „Birdie-Book“. Stimmt! Par drei, 183 Meter, bis auf ein paar Mangrovenbüsche am Fuß der erhöhten Abschläge hat der Ball auf dem Weg zum Grün ausnahmslos Wasser unter sich. Decken wir den Schleier des Vergessens über das Ergebnis, die Aussicht auf den Indischen Ozean war jedenfalls toll.
Mit Handtuch und Lektüre zur „Anse Georgette“
Und nur der Anfang. „Lémuria“ ist ein tropischer Traum zwischen Meeresgestaden, Regenwald und üppig grünen Hügeln. Was sich ab Loch 13 endgültig offenbart. Das Gelände steigt an, fast terrassenförmig führen die Fairways nach oben.
Dann die 15. Der „Ausguck“ entschädigt für alles: versenkte oder in den Dschungel verzogene Bälle, die Zwangspause im Cart, um den Regenguss auszusitzen, die Kraxeleien hinter dem Ball her, weil das Auto auf dem Weg stehen bleiben muss. Meinen Ball habe ich übrigens an den linken Rand des Grüns gesetzt, ein Eisen neun, halt mit der Bucht im Visier. Es reicht für ein Par, doch eigentlich ist das momentan nicht von Bedeutung. Morgen wandere ich zur „Anse Georgette“, ohne Golfbag, stattdessen mit Strandhandtuch und Lektüre.
Flughunde flattern übers Fairway
Der Rest der Runde ist im Rückblick etwas verschwommen. Das Panoramabild überstrahlt alles. Ich weiß noch, dass die 18 ein wirklich famoses Schlussloch ist, ein „Dogleg rechts“, dass sich mit seinen 473 Metern um einen See windet und dem aggressiven Longhitter einen langen zweiten Schlag übers Wasser an die Fahne anbietet. Nichts für mich, ich nehme den sicheren Weg außen rum. An die Flughunde erinnere ich mich außerdem, die am späten Nachmittag durch das Tal von Bahn 16 flatterten. „Fruit Bats“ nennt man sie hier, im Gourmetrestaurant des „Lémuria Resorts“ kommen die Früchte liebenden Fledertiere sogar zu kulinarischen Ehren. Das allerdings ist wirklich eine ganz andere Geschichte …