Golf Post: Wann haben Sie gemerkt, dass es am Ende auf Sie ankommen könnte?
Martin Kaymer: Spätestens gemerkt habe ich das, als Kapitän Olazábal an der 16 auf mich zukam und sagte, dass ich jetzt diesen Punkt machen müsste. Deshalb hätte man mich schließlich mitgenommen. Das war dann eine klare Ansage. Das ist nicht immer so einfach, aber ich bin mit den Emotionen dann ganz gut umgegangen. Klar, ich war schon ganz schön nervös. Gerade an der 17 war ich sogar sehr nervös und ich wollte mit Vorsprung auf die 18 gehen. Francesco [Molinari; Anm. d. Red.] kam direkt hinterher und ein halber Punkt von mir und von Francesco hätte schon gereicht. Aber trotzdem war es natürlich extrem wichtig von mir, dass ich den Putt rein mache. Ich war dann so aufgepumpt am Abschlag der 18, dass ich erst mal eine halbe Minute gebraucht habe, um wieder herunterzukommen. So etwas habe ich vorher noch nie erlebt.
Golf Post: Wie war die Szene an der 18 beim letzten Putt, alle guckten auf Sie?
Martin Kaymer: Ich wusste, dass dieser Putt den Ryder Cup entscheidet. Ich habe auf's Leaderboard geschaut und mir gedacht: Weißt Du Martin, auf diese Situation wartest Du schon so lange, hast Du Dein Leben lang für trainiert. Jetzt versuch' das Beste daraus zu machen. Ich habe mich dann darauf konzentriert und habe den wichtigsten Putt in meiner Karriere gemacht.
Bisher waren Sie ja immer sehr ruhig. Als Sie den Cup vor zwei Jahren gewonnen haben, haben Sie sich eher nach innen gefreut, aber diesmal... So habe ich Sie noch nie gesehen.
Martin Kaymer: Ja, ich weiß gar nicht, wie es im Fernsehen aussah. Es waren einfach Emotionen, die aus mir rausgekommen sind. Das kann man nicht beschreiben. Das kann man auch mit einem Majorsieg nicht vergleichen.
Was haben Sie denn gedacht, als Sie den ersten Putt ein bisschen zu lang gemacht haben? Kamen dann Zweifel auf à la ‚Warum machst du das denn'?
Martin Kaymer: Zweifel hatt ich überhaupt nicht. Ich wusste ja genau, was ich zu tun hatte. Klar, ich hätte natürlich lieber einen kürzeren Putt gemacht, aber von außen ist das immer einfach zu sagen. Wenn man in der Situation ist, denkt man nicht so drüber nach. Dass der Ball dann so weit hinter die Fahne läuft, ist nicht so die optimale Ausgangssituation. Aber ist ja jetzt egal.
Wie haben Sie die Atmosphäre empfunden?
Martin Kaymer: Ganz ehrlich, ich fand's sehr fair. Na klar, man kriegt viele Kommentare, die ein bisschen unter die Gürtellinie gehen, aber damit muss man umgehen können. Und es hat echt Spaß gemacht, gerade die letzten neun Loch. Also es war eine Atmosphäre... Man hat alle zwei, drei Minuten irgendwelches Rumoren von anderen Grüns und Fairways gehört. Es hat einfach nur Spaß gemacht. Jetzt habe ich endlich mal kennen gelernt, was es heißt – wovon Poulter [Ian Poulter; Anm. d. Red.] immer gesprochen hat –, wieviel Herz und wieviel Leidenschaft dahintersteht. Und das ist eine sehr sehr wertvolle Erfahrung.
Hätten Sie Sonntagmorgen gedacht, Sie könnten den entscheidenden Putt machen?
Martin Kaymer: Ich habe am Samstagabend schon drüber nachgedacht, als ich gesehen hab, dass ich auf Nummer elf gesetzt bin. Da habe ich überlegt: Die, die vorne spielen, das sind alles sehr gute Spieler, erfahrene Spieler, die gegen junge Spieler spielen. Die Chancen für uns standen ganz gut, dass wir vorne viele Punkte holen. Wenn wir gewinnen sollten, habe ich überlegt, dann kommt es extrem auf die Matches Nummer elf und zwölf an.
Ganz ehrlich, ich hab schon ein bisschen Angst vor dem Gedanken gehabt, aber dann auf den zweiten Neun, als ich gemerkt hab, dass der Punkt extrem wichtig werden wird, da hat es mir einfach total viel Spaß gemacht. Das war so toll, sich in so einer Situation wiederzufinden und wirklich dir selber zu zeigen und auch allen anderen, dass du unter der Spannung und in dieser Atmosphäre standhalten kannst. Dass du das Ding durchziehen und wirklich den entscheidenden Punkt holen kannst. Da war ich, ganz ehrlich, an der 18 sehr stolz auf mich, dass ich das geschafft habe.
Wo ordnen Sie diesen Erfolg jetzt ein?
Martin Kaymer: Mit einem Major lässt sich das nicht vergleichen. Ich hab immer gedacht, dass für mich ein Major viel wichtiger wäre als der Ryder Cup, aber ich habe jetzt kennen gelernt, wie viele Emotionen dahinter stecken. Hier zu gewinnen, ist ganz, ganz weit oben einzuordnen – wie Olympia, nur noch höher.
Sie haben mit Bernhard Langer auch gesprochen. Können Sie uns darüber etwas erzählen?
Martin Kaymer: Ja, ich war einfach mit meiner Einstellung unzufrieden, wie ich am Freitag aufgespielt habe, das war einfach nicht ich. Dann habe ich mich am Samstagmorgen mit Bernhard zusammengesetzt und wir haben uns eine Stunde über den Ryder Cup und über die ganzen Teammitglieder unterhalten. Auch darüber, wie man sich mehr integrieren kann, um sich wirklich als Teil des Teams zu fühlen. Als ich dann erfahren hab, dass ich Samstag nicht spiele, war ich schon ein bisschen enttäuscht, weil ich dann nicht zeigen konnte, dass ich einen Punkt zum Team beitragen kann. Deswegen war ich am Sonntag umso mehr motiviert rauszugehen und den entscheidenden Punkt zu holen – für mich erstmal und dann auch noch für’s Team. Das war natürlich ein Traum. Bernhard hat mir extrem viel geholfen, nur allein, weil er halt da ist.
Als Sie von der 11 rüber zum Abschlag der 12 gegangen sind, da hat Ihnen ein Ire mit zugerufen: ‚Martin, you can do this!’
Martin Kaymer: Ja, das habe ich gehört. Das ist wirklich ein super Gefühl. Auf den zweiten Neun, das war einfach unglaublich! Das hat soviel Spaß gemacht! Du weißt, du musst die Nerven im Griff halten, aber das habe ich 2010 auch schon geschafft und das jetzt beim Ryder Cup noch einmal geschafft zu haben... Mehr geht einfach nicht. Das gibt mir wirklich Vertrauen: Egal, welches Turnier ich spiele, egal wo ich abschlage, ich weiß jetzt, ich kann es.
Das Interview führte Dr. Lorenz Gräf