Er ist wieder da. Das wurde schon einige Male geschrieben, und stets hinkte Tiger Woods in die nächste gesundheitliche Krise. Verbunden mit vagen Aussichten auf ein neuerliches Comeback, genährt von der unbändigen Lust des Superstars am Wettbewerb und seinem außerordentlichen Arbeitsethos. Doch bislang waren es allenfalls Intermezzi eines physischen und psychischen Leidenswegs, der eigentlich 2008 begonnen hatte, als Woods mit Ermüdungsbrüchen und gerissenem Kreuzband im linken Knie bei der US Open sein 14. und scheinbar letztes Major gewann.
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„Einen Tiger Woods sollte man niemals abschreiben“
Dann kam die wundersame Wiederauferstehung – der Tour-Championship-Sieg 2018 und der Masters-Triumph 2019. Damals schon sprachen alle vom größten Comeback des Golfsports, bevor der Tiger seinem diesbezüglichen Vorgänger Ben Hogan mit dem beinahe tödlichen Autounfall im Februar 2021 noch ähnlicher kam. Die nächste Agonie der Aussichtslosigkeit. Beinahe eine Amputation des zerschmetterten rechten Unterbeins. Wie viel Schmerz kann dieser Mann noch ertragen? Die meisten glaubten an das endgültige Ende dieser so großen Karriere. Nur wenige dachten, was seine Freunde Notah Begay III und Justin Thomas ausgesprochen haben: „Einen Tiger Woods sollte man niemals abschreiben.“ Und: „Wenn einer das schafft, dann er.“
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Eine Katzen hat bekanntlich neun Leben
Es folgten Monate der Unsichtbarkeit. Dann Auftritte bei den Majors. Absagen. Die emotionsschweren 150. Open, die Gänsehautszenen auf dem Old Course. Andere vorzeitige Abgänge. Der jüngste beim Masters in diesem Jahr während der dritten Runde. Und noch ’ne OP. Die Hero World Challenge war als Bühne der Wiederkehr auserkoren. Eine Katze hat bekanntlich neun Leben: Wie viele sind mittlerweile verbraucht? Wo nimmt Woods diesen Willen her, diese Unbeugsamkeit, erneut Anlauf zu nehmen? Kurz vor dem 48. Geburtstag. Welcher Rückschlag kommt nun?
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Zurückgekommen, um zu bleiben
Doch diesmal war alles anders. Das Stehaufmännchen namens Tiger ist zurückgekommen, um zu bleiben. Er habe Schmerzen, sei überall wund, sagte Woods nach den vier Runden im Albany Golf Club. Aber er zeigte sich gleichermaßen überzeugt, sein Zustand erlaube im kommendes Jahr ein Turnier pro Monat. Was theoretisch alle Majors sowie eine Handvoll ausgesuchter Events auf der PGA Tour umfassen könnte – beginnend mit seinem Genesis Invitational im Februar. „Meinen Bein geht es prima, dort spüre ich nichts, die Versteifung des Knöchels wirkt wie erwünscht“, sagte Woods. Den Preis dafür bezahlt er an anderen Stellen seines Körpers. „Mein Rücken plagt mich jeden. So ist das Leben nun mal. Aber ich kann damit umgehen.“ Nie zuvor klang er dermaßen sicher.
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„Mit jedem Tag schneller in die Runde gekommen“
Es sei ein langer Weg gewesen, erklärte er in einem TV-Interview: Anfangs eingerostet, sei es mit jedem Tag besser gelaufen. Im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. „Ich habe mich jeden Tag darauf gefreut, die nächste Runde anzugehen. Das Gefühl hatte ich lange nicht mehr und es hat Spaß gemacht, das wieder zu spüren. Mit jedem Tag bin ich schneller in die Runde und in meinen Rhythmus gekommen.“
Es war ihm anzusehen. Ein Speed-Golfer wird der 15-fache Majorsieger sicher nicht mehr, sein Tempo ist von anderer Art, wirkte indes gleichermaßen beschwingt. „Das moderne Material erlaubt mir, den Ball heute weiter zu schlagen, als in meinen Anfangsjahren auf der Tour. Und ich habe den Ball von jeher gut und genau getroffen. Das hilft mir jetzt, wo ich den Ball beim Shot Shaping nicht mehr so mit dem Körper arbeiten kann. Ich kann also immer noch Golf spielen. Doch die Frage war, ob der Körper das mitmacht.“ Sie scheint beantwortet: „Ich war angenehm überrascht, wie gut ich mich jedes Mal erholt habe.“
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„Ich liebe es, ihn auf der Range Bälle schlagen zu sehen und den Sound zu hören. Tiger hat immer noch diesen speziellen Sound, was erstaunlich ist. Ich fühle mich eingerostet, wenn ich zwei Monate lang kein Turnier gespielt habe. Er macht fast ein Jahr am Stück Pause und kommt zurück und spielt gutes Golf. Er ist einfach anders als alle anderen hier.“
Hero-Sieger Scottie Scheffler über Tiger Woods
„Mein Körper ist abgenutzt“
Trotzdem braucht er jedes Mal vier bis fünf Stunden, um nach einer Runde wieder zu Kräften zu kommen: Massagen und Eisbäder, Physiotherapie für Rücken, Bein, Fuß, Zeit im Gym. „Mein Programm hat sich nicht verändert“, so Woods. „Das ist das Unglück, wenn man altert. Mein Körper ist abgenutzt, doch ich versuche, mit jüngeren Leuten mitzuhalten. Also verbringt man mehr Zeit im Behandlungsraum und im Kraftraum als auf dem Golfplatz. Das gehört einfach dazu, wenn man als Sportler weitermachen will.“
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Die Hero World Challenge als Woche der Wahrheit
Die Hero World Challenge 2023 war in gewisser Weise eine Woche der Wahrheit. Sie hat gezeigt: Nie war Tiger Woods wertvoller als heute. Auf dem Platz, wo er trotz des mit Stars gespickten 20-köpfigen Felds die Zuschauer angezogen hat wie kein anderer. Und hinter den Kulissen, wo er die Strippen des Golfestablishments zieht. Die PGA Tour hat in den vergangenen Jahren versucht, ohne ihn auszukommen – mit ihm fährt sie besser. Der offene Brief, den er und Jordan Spieth verfasst haben, lässt Woods’ Wirkweise allenfalls erahnen. Tiger Woods ist der wahre Wert, den die Tour im Ringen mit LIV Golf in die Waagschale werfen kann.
Wie Palmer, der den Kollegen stets Kompass war
Seine Stimme hat mehr Gewicht als die aller anderen zusammen, sein Einfluss ist nicht hoch genug einzuschätzen, er kennt das Business seit mehr als 30 Jahren von jeder Seite des Tischs. Wie weiland bei Arnold Palmer, der seinen Kollegen stets Kompass war, gilt auch für Woods: Was er nicht gutheißt, fällt bei der Mehrheit der Spieler durch. Tiger sei das Alphatier in jedem Raum, den er betrete, hat Rory McIlroy mal gesagt. Eine Ausnahme wie der Abgang von Jon Rahm bestätigt allenfalls die Regel. Vielleicht folgt noch der eine oder andere. Vermutlich nimmt „Shadow Commissioner“ Woods das in Kauf: Die Reihen gegen einen Feind lassen sich nur dann fest schließen, wenn das Gefüge nicht durch Wackelkandidaten, unsichere Kantonisten oder falsche Fünfziger destabilisiert wird.
Viel gesprochen, jedoch kaum was gesagt
Ist jemandem aufgefallen, dass Woods bei seiner Pressekonferenz im Vorfeld der Hero World Challenge enorm viel gesprochen, jedoch kaum was gesagt hat? Er war beredt, hat seine Haltung klargemacht, beginnend mit der Enttäuschung, a Frustration über die Heimlichkeiten und Alleingänge von Commissioner Jay Monahan und Co. beim Pakt mit dem PIF – „so was darf nie wieder passieren“. Aber kein Wort zum Stand der Verhandlungen – außer Allgemeinplätze über Veränderungen und Tempo –, zu seinen Präferenzen in der Sache, zur Offerte der Fenway Sports Group, zu möglichen Konstellationen. Er beherrscht das mittlerweile perfekt, gibt Statements, die alle eifrig protokollieren und wiedergeben, bleibt dennoch rätselhaft wie die sprichwörtliche Sphinx, die von den alten Ägyptern übrigens als Wächter verehrt wurde, vor dem die Feinde sich fürchten sollen. Passt ja.
Die „State of the Game“-Standpauken
Bereits vergangenes Jahr hat Woods auf den Bahamas seiner Branche die Leviten gelesen. Wie weiland Palmer mit seinen „State of the Game“-Standpauken. „King Arnie“ auf seiner Wolke dürfte sich freuen. Zwischendrin antichambriert er mit Menschlichkeit und dem geheimnisvollen Lächeln der Mona Lisa. Wie gesagt: Nie war Woods wertvoller als heute.
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„Er könnte auch einfach bloß spielen“
„Er hat die Fackel von Palmer und Jack Nicklaus übernommen“, verdeutlicht Best Buddy Justin Thomas. „Und es war eine Ehre für ihn. Ich denke, jedem ist klar, dass er seine Entscheidungen nicht für sich trifft, sondern zum Wohl des Spiels. Ein Spieler von seinem Format hat das nicht nötig, könnte seine Zeit anders nutzen und müsste sich das nicht antun. Er könnte einfach bloß spielen, wann immer er Lust dazu hat. Aber Tiger nimmt seine Aufgabe sehr ernst und will die Fackel, sprich das Spiel, in gutem Zustand an die nächste Generation weiter reichen.“
So gesehen war 2023 einmal mehr ein Jahr des Neubeginns für Tiger Woods. Das Gewicht der Golfwelt lastet mittlerweile vor allem auf seinen Schultern. Die sind breit genug, er hat im Gym in den vergangenen Monaten noch mal zugelegt. Jetzt müssen bloß Rücken, Bein, Knöchel und Fuß halten.