Es geht rund. Seit rund 600 Jahren. Seit der Legende zufolge ein gelangweilter Schäfer in den Dünen der schottischen Ostküste mit dem gekrümmten oberen Ende seines Hirtenstabs Kiesel in Kaninchenlöcher schubste. Ein Märchen, zu schön um wahr zu sein. Doch tatsächlich: Am Anfang war der Kiesel, offenbar von jeher ein animierendes Objekt für den Homo ludens, den spielenden Menschen, der intuitiv wirft, kickt oder schlägt, kaum dass ihm was Passendes in die Hand gedrückt oder vor die Füße gelegt wird. Schon Sir Arthur Conan Doyle, der Schöpfer von Sherlock Holmes wusste, „dass die kleinsten Dinge bei weitem die wichtigsten sind“.
Eisenbahn und Guttapercha-Murmel
Der Mann hatte Expertise. Nicht nur als Arzt und Schriftsteller. Aber er wurde ja auch in in Edinburgh geboren – 1859 –, da liegt Golf per se in der Luft. Conan Doyle, ohnehin ein leidenschaftlicher Sportler, war ein sehr guter Spieler. Und Mitbegründer des Hindhead Golf Clubs im englischen Surrey sowie während seiner Schweizer Zeit in den 1890er-Jahren Initiator des Golfplatzes von Davos. Damals war Golf in voller Blüte. Die Entwicklung der Eisenbahn hatte Britanniens Küsten und den europäischen Kontinent für Tourismus erschlossen, der Guttapercha-Ball das Spiel für jedermann erschwinglich gemacht.
Plätze, Schläger, Regeln: Der Ball bestimmt alles
Es wird dieser Tage eine Menge über „Growing the Game“ schwadroniert, allzu oft als Alibi für gänzlich andere Motive. Doch eines vor allem hat dem Golfspiel überhaupt erst zum Höhenflug verholfen: die „Biografie“ des Balls. Plätze, Schläger, Regeln: Alles hing und hängt von seiner Evolution ab. Er war der „Game Changer“, ohne den das spleenige Outdoor-Vergnügen der Briten kaum zu einem weltumspannenden Sport hätte werden können. Es existiert sogar ein leidlich genaues Datum.
Der arme Student in St. Andrews
Im Jahr 1848 tüftelt der 19-jährige Student Robert Adams Paterson in St. Andrews den bereits erwähnten Guttie aus, weil der angehende Theologe und spätere Pfarrer sich den seit 1618 gebräuchlichen, teuren Featherie zu vier bis fünf Schilling das Stück nicht leisten konnte, der auf die hölzernen Murmeln aus Buche oder Buchsbaum gefolgt waren, die wiederum den Kiesel abgelöst hatte. Nach modernem Kurs wären das um die 17 Pfund, dafür gibt’s heutzutage ein ganzes Dreierpack Top-Titleists – und noch ein Pint of Lager im Jigger Inn am Road Hole des Old Course obendrauf.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Featheries: komplizierte und kurzlebige Klopse
Der Featherie, und damit Golf generell, war damals was für Leute, die sich den Luxus einer solchen Pille leisten konnten. Oder die von Berufswegen als Schläger- und Ballmacher, Greenkeeper und Wettspiel-Partner vom Freizeitspaß der Gentlemen lebten. Mithin die ersten Professionals. Selbst Könner wie Old Tom Morris schafften täglich in manueller Mühseligkeit maximal vier der allenfalls leidlich runden und ebenso komplizierten wie kurzlebigen Klopse aus drei zu vernähenden Lederstreifen und einem Haufen Federn, die gebrüht und kochend heiß in die Hülle gestopft wurden, sich beim Trocknen ausdehnten und den Featherie einigermaßen elastisch machten – solange er nicht nass oder allzu arg malträtiert wurde.
Buchstäblich von anderem Kaliber
Nicht von ungefähr waren die meisten der damals gebräuchlichen Schläger aus Holz, um die kostbaren Kugeln weitestmöglich zu schonen. Kantige Kellen, anfangs grob aus Gusseisen gebosselt, kamen allenfalls in Ausnahmefällen zum Einsatz, wenn die Bodenbeschaffenheit ein Hacken unumgänglich machte. Trotzdem hielt ein Featherie selbst bei pfleglicher Behandlung kaum mehr als zwei Runden.
Da war der Guttie buchstäblich von anderem Kaliber und deutlich haltbarer. Das gummiähnliche Material aus dem eingetrockneten Milchsaft (sub-)tropischer Sapotengewächse wie Guttapercha- und Breiapfelbaum ermöglichte eine günstige Massenherstellung und damit breiten Kreisen den Zugang zum Golf. Kautschukbrocken wurden zwischen den Handballen oder auf hartem Untergrund gewalkt, dadurch erwärmt und erweicht und anschließend per Muldenpresse in Form gebracht, mussten dann nur noch aushärten. Sechs Dutzend zum Einzelpreis von einem Schilling ließen sich pro Tag fertigen.
Aus Narben wurden Dimples
Überdies stellten die Professionals fest, dass Schlag-Schrammen die Ballistik des Balls sogar beflügelten, während Featheries dadurch regelmäßig kollabierten. Also hämmerten sie dem jungfräulichen Produkt direkt mit einem scharfkantigen Hämmerchen Scharten und Beulen ins Rund – Vorläufer der 300 bis 500 Dimples heutiger Bälle.
Bis zur industriellen Fertigung war es danach nur ein kurzer Schritt. Die Pressen wurden optimiert und in Reihe angelegt, die Dimples direkt in die Formgebung integriert. Der Bramble beispielsweise, so genannt wegen seiner brombeerartigen Oberflächentextur, galt seinerzeit als Meisterstück des Designs. Dank ihrer Widerstandsfähigkeit ermöglichten die Gummigeschosse außerdem die Entwicklung der Eisenschläger zum regulären Golf-Instrumentarium.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
1897 schließlich meldeten die Briten David Froy, James McHardy und Peter Fernie die Dimples zum Patent an und erhielten im Jahr drauf die Publikationsnummer GB189724667A. Froy selbst sollte 1900 die Open Championship mit dem Prototypen eines maschinell „gedimpelten“ Balls bestreiten.
Eine Multimillionen-Dollar-Industrie
Ebenfalls 1898 erfand der Amerikaner Coburn Haskell 1898 in Zusammenarbeit mit der Firma BF Goodrich den per Latexfaden um einen Hartgummi-Kern gewickelten Ball samt seiner Hülle aus dem Saft des südamerikanischen Balata-Baums. Der Zahnarzt war auf die Idee gekommen, als er bei „Goodrich“ mit Gummiabfällen herumspielte, während er auf Fabrikleiter und Golfpartner Bertram Work wartete.
Und mit der Einführung von Werkstoffen wie Surlyn, Ionomer oder Urethan in den 1960er-Jahren wurde aus dem Ball-Business endgültig eine Multimillionen-Dollar-Industrie.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an