Neil Cleverly ist ein weit gereister Mann in Sachen Golf. Im 26. Jahr nun managt der gebürtige Londoner als Superintendent Platzprojekte in aller Welt. USA, Ägypten, Dominikanische Republik, Mexiko. Seit Mai 2013 Brasilien, genauer gesagt Rio de Janeiro. Und der Kurs am Zuckerhut dürfte dem ehemaligen Soldaten das Letzte an Nerven, Geduld und Flexibilität abverlangt haben. „Es gab keine vernünftige technische Ausrüstung, zudem nur ungelerntes Personal“, erinnert sich der 57-Jährige. „Einfach irre! Ich habe mich gefragt: Wie sollen wir das nur hinkriegen?“ Er hat‘s hingekriegt, das Werkstück von Designer Gil Hanse zu einem Parcours finalisiert, der sich nur mit einem „perfekten kurzen Spiel“ meistern lässt und „einige horrend hohe Scores verursachen wird“.
Gleicher Schläger-Einsatz
Auf die 120 Golf-Olympioniken wartet ein hartes und schnelles Geläuf, Par 71, lediglich 6.517 Meter lang für die Herren, 5.710 Meter für die Damen. Der Architekt konzipierte die Distanzen innerhalb der Bahnen derart, dass Pros wie Proetten beim Weg zum Grün jeweils nahezu die gleichen Schläger benutzen müssen, holte dafür die frühere LPGA-Größe Amy Alcott ins Planungsteam, „was überaus hilfreich war.“ Trotz all der grünen Samtigkeit von Zoysia-Gras auf den Fairways und Paspalum-Flor rund um die Fahnen ist das Layout urwüchsig. Es gibt Gebüsch, aber keine Bäume, 79 Bunker, jedoch kein Rough, abseitig geschlagene Bälle landen umgehend im „Dreck“.
Wind im Layout fest eingeplant
Das ist Hanses Designprinzip ohnehin, sich der originären Landschaft anzupassen, keine artifiziellen Fremdkörper in die Gegend zu pflanzen. Folgerichtig beließ der Amerikaner es auch in Barra de Tijuca beim indigenen Charakter. Zwei Drittel des Areals dienten vormals zur Baustoffgewinnung samt Sandhalde, der südliche Bereich liegt am Rand des Naturschutzgebiets Riserva do Marapendi. Hanse machte daraus eine Kopie der famosen Kurse des australischen Sandgürtels um Melbourne, gewürzt mit klassischen Linksgolf-Features. Das wichtigste Element allerdings liefert die Natur: den Wind. „Wenn der fehlt, werden die Top-Spieler den Platz zerlegen,“ räumt Superintendent Cleverly ein. Der August freilich ist von je her ein sehr windiger Wintermonat in Rio, „und dann müssen sie sehr kreativ sein“.
Alle wollten dieses Projekt haben, Gil Hanse bekam es, trotz Mitbewerbern wie Gary Player, Greg Norman, Jack Nicklaus, Tom Doak und Robert Trent Jones Jr. Bis heute „weiß ich nicht, warum mir der Zuschlag erteilt wurde“, stapelt Hanse tief. Sei‘s drum: Er überzeugte mit seinem Plädoyer wider ellenlange Spielwiesen („Wenn wir genug Strategie ins Design packen, braucht es solche Plätze nicht“), dank seiner Zuversicht, ein nachhaltiges Legat der Spiele schaffen zu können, nicht zuletzt durch das Versprechen, für die Bauzeit mitsamt Familie nach Rio zu ziehen.
Auf die Winkel kommt‘s an
Die „Strategie-vor-Länge“-Philosophie findet sich zuvorderst in den neun Par-4-Bahnen des Olympia-Ensembles. Vier sind keine 380 Meter lang, die anderen fünf mindestens 438 Meter. Es ist das sogenannte „Halb-Par-Prinzip, Par 3,5 bis 4 und Par 4,5 bis 5, wenn‘s die Kategorien gäbe. Hier besonders hat sich Gil Hanse strategisch ausgetobt, „das ist angesichts des Materials und der Spielerathletik im modernen Golf wirklich alles, was du machen kannst“.
Angetan ist der Architekt, der unter anderem Castle Stuart oder Streamsong-„Black“ konzipiert und Doral renoviert hat, vor allem von seinen Löchern 4, „dem schönsten, zugleich dramatischsten Fleck auf dem Platz“, und 9, „dessen kleines Grün am besten durch eine ,Schlucht‘ zwischen zwei Grüns angespielt wird“, sowie von der bloß 277 Meter kurzen Par-4-16 (Damen: 241 Meter), dem Auftakt „eines denkwürdigen Finales“ (Hanse): „Wenn Wind herrscht und der Boden trocken ist, wird es indes überall darauf ankommen, die richtigen Winkel zu finden.“
Flora und Fauna gedeihen
Übrigens: Trotz gegenteiliger Befürchtungen von Umweltaktivisten im Rahmen der gesamten Querelen, die das olympische Golfplatzprojekt begleitet haben, geht‘s Flora und Fauna prächtig. In den sensiblen Abschnitten hat Hanse mit seinem Layout die Biotope der „Riserva“ behutsam ausgespart. Dort gedeihen 85.000 einheimische Pflanzen, sonnen sich tagsüber Kaimane an den beiden Seen, grasen nachts Wasserschweine und buddeln bodenbrütende Eulen, dazu kreuchen wie fleuchen Schlangen und Affen. Ein Gutachten hat dem Golfplatz längst bescheinigt, sich positiv auf die Biodiversität der einstigen Brache auszuwirken. Oder wie Neil Cleverly es ausdrückt: „Die Naturschützer sollen sich irgendwo anders einen Baum suchen und den umarmen!“