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Das Verfallsdatum golferischer Größe: Glühen Stars heute schneller aus?

30. Dez. 2020 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Rory McIlroy und Dustin Johnson: zwei der erfolgreichsten Golfer. Doch wie lange noch? (Foto: Getty)

Tolle Golfer, unterschiedliche Charaktere: Rory McIlroy zweifelt am eigenen Können, Dustin Johnson pflegt eine perfekte Work-Life-Balance. (Foto: Getty)

Ein interessantes und durchaus bizarres Jahr auch im Profigolf geht zu Ende. Corona verzerrte den Spielplan, Bryson DeChambeau avancierte zum „Hulk mit dem Holz“, und bei den zuschauerlosen Turnieren reüssierten vielfach Spieler, die sonst nicht so im Rampenlicht stehen, profitierten vom fehlenden Nervositätsfaktor der großen Zuschauerkulisse. Andere wiederum vermissten genau das schmerzlich. Und blieben nach eigener Aussage genau deswegen hinter den – nicht zuletzt eigenen – Erwartungen zurück.

Verlust der energiespendenden Atmosphäre

Rory McIlroy beispielsweise. Der Nordire empfand seine Auftritte unter Pandemie-Diktat eher als wenig inspirierende Trainingsrunden, ihm ging die energiespendende Atmosphäre dicht bevölkerter Abschlagsbereiche, Fairway-Ränder- und Grünumgebungen erklärtermaßen ab. Andere Mitbewerber in den vorderen Regionen der Weltrangliste waren ebenfalls zwar präsent, jedoch nicht dominant – wenn es wirklich drauf ankam.

Jon Rahm, Justin Thomas oder Webb Simpson gewannen zwar Titel, spielten indes bei den drei Majors keine wirkliche Rolle. McIlroy ebenso wenig. Rahm gelang mit seinem „Flitsch“ in der Masters-Woche immerhin ein Schlag, der sogar in den Jahresrückblicken des öffentlich-rechtlichen Fernsehens vorkam.

Keine großen Coups der Arrivierten

Vielleicht ist die im Juni mit der Charles Schwab Challenge wieder aufgenommene Rumpfspielzeit 2020 der PGA Tour nicht der perfekte Anlass, um über das Verfallsdatum golferischer Größe zu sinnieren. Doch die Frage stellt sich: Warum landen die sogenannten Arrivierten keine großen Golf-Coups mehr?

McIlroy hat seit 2014 nicht bei einem Major gewonnen, Thomas‘ PGA Championship liegt bereits drei Jahre zurück, Webb Simpson war 2012 US-Open-Sieger, Rahm ist seit etlicher Zeit der Weltbeste ohne Major. Dazu Brooks Koepka, der nach seiner Verletzungs-Maläse (noch) nicht wieder in Tritt gekommen ist. Gar nicht zu reden von Jordan Spieth, dessen Problem-Kanon ihm fast ein David-Duval‘eskes Geschick zu bescheren scheint.

Aktuelle Majorsieger bestätigen die Regel

Die aktuellen Majorsieger sind in alldem bloß Ausnahmen, welche die Regel bestätigen. Dustin Johnson, der Masters-Champion, hat mehr Majors knapp verloren als bislang gewonnen; mit DeChambeau holte sich einer die US Open, der vor Ehrgeiz brennt, seine Golf-Theorien mit Erfolg zu krönen, PGA-Champion Collin Morikawa schließlich zählt zu den jungen Wilden, die ebenso talentiert wie frühreif und erfolgshungrig zu Werke gehen.

In der Weltrangliste stehen derzeit vier Spieler unter den Top Ten, die bislang kein Major gewonnen haben. Das zeigt einerseits, dass man keins gewinnen muss, um im Weltgolf eine große Nummer zu sein und dem entsprechenden Lifestyle nachhängen zu können. Anderseits bedeutet ein Majorsieg keineswegs, auf Dauer die Szene zu beherrschen – so, wie es früher bei Hogan, Palmer, Nicklaus und Co. oder bei Tiger Woods in seiner Hoch-Zeit der Fall war.

McIlroy: „Deswegen liege ich nicht nächtens wach“

Das Phänomen des unbedingten Willens und der uneingeschränkten Hingabe, ja sogar der schieren Besessenheit zur Dominanz bzw. einer diesbezüglich mangelnden Bereitschaft wurde an anderer Stelle bereits thematisiert. Rory McIlroy hat mal betont, er wolle nicht sein gesamtes Leben und alles den Golf-Zielen unterordnen, nach der Geburt von Tochter Poppy vermutlich weniger denn je. „Ich hätte gewiss in der Zwischenzeit gern ein paar weitere Majors gewonnen“, sagt er, „aber deswegen liege ich nun nicht nächtens wach.“ Mit vier Grand-Slam-Turnieren im Pedigree knurrt der Magen nicht mehr vor lauter Erfolgshunger – was zu beweisen war …

Womöglich geht das mit der ausschließlichen Fokussierung in diesen Zeiten eh nicht mehr: bei dem Übermaß an Möglichkeiten und nicht zuletzt Verpflichtungen, die das Dasein als moderner Sportstar mit sich bringt.

„Früher und jünger am Höhepunkt“

Nur wenigen ist vergönnt, sich wirklich aussuchen zu können, was sie tun und lassen; sich in homöopathischen Dosen der Vereinnahmung durch Sponsoren, Gesellschaft und eigenem Bedürfnis nach Öffentlichkeit aussetzen zu können. Tiger Woods ist sicherlich ein Beispiel. Oder der Schweizer Tennis-Heros Roger Federer, um mal über den Tellerrand des Golfsports zu blicken. Die beiden thronen allerdings längst im Giebel ihrer jeweiligen Ruhmeshallen; Legenden dürfen manches und müssen vieles nicht mehr …

Der US-Golfjournalist Alan Shipnuck, ein Freund steiler Thesen, hat unlängst einen weiteren Aspekt aufgeworfen, um die offenkundig schrumpfenden Halbwertzeiten des Erfolgs zu erklären. Bei „Golf.com“ verlautbarte er die Theorie, dass moderne Karrieren kürzer ausfallen, „weil die Spieler früher und damit jünger ihren Höhepunkt erreichen und schneller ausbrennen. Wir sehen das bei Jordan Spieth und Rory McIlroy.“

Letzterer hatte sich nach dem wenig berauschenden geteilten 33. Platz bei der PGA Championship denn auch laut die Frage gestellt: „Vielleicht bin ich gar nicht mehr so gut wie früher?“

Verlockender Vorruhestand?

Shipnuck sprach wortwörtlich von „burn out“, meinte damit freilich weniger das oftmals von Depressionen begleitete Krankheitsbild, vielmehr den kometenhaft steilen Aufstieg, dem in den meisten Fällen unweigerlich das vorzeitige Verglühen folgt. „Top-Junioren kommen daher wie Tour-Spieler, die auf Teenageralter geschrumpft sind, und strengen sich mehr an, als die Oldtimer es sich jemals vorstellen können“, schrieb Shipnuck. „Irgendwann brechen dann die Körper eines Brooks Koepka und Jason Day zusammen, genau wie Tiger Woods zuvor.“

Und: „Das riesige Geld auf der einen und vor allem die unentwegte Bemusterung wie unter einem Brennglas in den sozialen Medien auf der anderen Seite lassen gerade bei sehr erfolgreichen Spielern den Vorruhestand äußerst verlockend erscheinen.“

Die Work-Life-Balance des Dustin Johnson

Oder man macht es wie Dustin Johnson. Der US-Open- und Masters-Sieger, scheinbar frei von Selbstzweifeln oder Grübelei übers eigene Potenzial sowie ohnehin fatalistisch und gelassen wie ein Kiesel im Umgang mit Enttäuschungen und Öffentlichkeit, hat von jeher seine ureigene Work-Life-Balance entwickelt. Damit lässt sich‘s im Profi-Business lange gut und gut lange leben. Und zwischendurch streut „D. J.“ halt den einen oder anderen Majortitel ein.

Rory McIlroy hingegen hat jüngst in seiner Saisonbilanz erklärt, die durchwachsenen Ergebnisse seit dem Re-Start hätten lediglich was mit der Justierung auf die neuen Tour- und Turnierbedingungen zu tun gehabt, „andere haben da einfach schneller an ihren mentalen Stellschrauben gedreht als ich“. Mit seiner Karriere „durch“ sei er deswegen bei weitem nicht: „Ich bin 31 Jahre alt und habe noch die zweite Hälfte meiner Profi-Laufbahn vor mir!“ Na dann, in weniger als 100 Tagen ist wieder Masters.

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