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Der Distanz-Disput: Sechs Argumente, warum alle Kritiker falsch liegen

19. Apr. 2021 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

"Den Sport wieder den Plätzen anpassen", das ist das erklärte Ziel. (Foto: Getty)

"Den Sport wieder den Plätzen anpassen", das ist das erklärte Ziel. (Foto: Getty)

Die Wogen schlagen hoch. Mal wieder. R&A und USGA sorgten erneut für veritablen Wellenschlag, als sie dieser Tage das nächste Kapitel der Causa Schlaglängen ankündigten. In Zusammenarbeit mit der Industrie wollen die Gralshüter des Golfspiels mögliche Modifikationen der Equipmentstandards abwägen und nach Möglichkeiten suchen, um die ausufernden Distanzen auf dem Elite-Level einzudämmen; USGA-Boss Mike Davis spricht vom „Beginn der Lösungsphase“, der eigentlich schon für März 2020 angesetzt war, wegen Corona indes verschoben wurde.

„Den Sport wieder den Plätzen anpassen“

Ebenso unvermeidlich wie reflexhaft setzte prompt der Disput ein. Ein jeder hat was zu sagen, zuvorderst natürlich die Profis selbst. Rory McIlroy gar bettelte bei seiner Pressekonferenz in Scottsdale förmlich um entsprechende Fragen: „Dafür nehme ich mir gern den ganzen Tag Zeit.“

Wie erwartet, reden alle das Thema klein – kein Wunder, werden sie doch fürstlich dafür entlohnt, das Wohl ihrer Ausrüster im Sinn zu haben, die an Turbulenzen und Veränderungen wenig interessiert sind. Und wer die Spieler fragt, will ohnehin den Bock zum Gärtner machen: Deren gesamtes Sinnen und Trachten ist naturgemäß darauf ausgerichtet, einen Platz förmlich auseinanderzunehmen.

Das weit verbreitete Lamento geht denn auch komplett an des Pudels Kern vorbei. R&A und USGA wollen lediglich „den Sport wieder den Plätzen anpassen“ (Mike Davis). Der ist nämlich aus den Fugen geraten, sprengt im Wortsinn längst die Dimensionen seiner Austragungsstätten. Die Plätze, die großen alten Kurse zumal, sind die DNA des Spiels, sie und ihre Gestaltung machen einen wesentlichen Teil der Faszination aus.

Ist Golf noch, „as it was meant to be played“?

Wenn jedoch das Design mit all seine Feinheiten und kreativen Kriterien aus dem Spiel genommen wird, weil dank des modernen Equipments drüber weg oder dran vorbei geschlagen werden kann, dann verändert sich das Wesen des Spiels. Dann ist Golf irgendwann nicht mehr „Golf, as it was meant to be played“, um – wie passend – den Titel eines beeindruckenden Buchs von Michael J. Fay über den großen Architekten Donald Ross zu zitieren.

Also erlauben wir uns an dieser Stelle einen Sechs-Punkte-Widerspruch zu vielem, was in den vergangenen Tagen als Debattenbeitrag wieder aufgewärmt wurde, letztlich ein Plädoyer für den Schutz der Plätze:

1. Niemand wird bestraft …

… oder eines Vorteils beraubt. Wenn das Material generell modifiziert wird, fliegen die Bälle ebenfalls grundsätzlich kürzer – um wieviel Prozent auch immer. Die Proportionen bleiben gleichwohl erhalten, Longhitter sind weiterhin Longhitter und haben ihren Längen-Bonus. „Ausgerechnet“ Reizfigur Bryson DeChambeau, dessen Transformation zum „Hulk mit dem Holz“ die Intentionen der Golf-Granden im übrigen lediglich bestätigt, hat‘s begriffen: „Entscheidend ist, dass sie sich darauf konzentrieren, die Integrität des Spiels zu wahren und es fairer zu gestalten, ohne das menschliche Element herauszunehmen.“

Eben: ohne die individuellen, selbst erarbeiteten Errungenschaften anzutasten. Der US-Open-Champion vertraut darauf, dass „mein Ball-Speed so hoch ist, wie ihn sonst keiner auf der Tour erreicht“, egal mit welchem Schläger oder welcher Murmel.

2. Es betrifft halt nicht nur 0,1 Prozent

Rory McIlroy wirft R&A und USGA vor, dass sie „Golf durch eine viel zu kleine Linse betrachten, wenn sie etwas ändern wollen, dass nur 0,1 Prozent aller Golfer betrifft, während 99,9 Prozent das Spiel rein aus Spaß betreiben“. Leider ist der einzige enge Blickwinkel in diesem Fall sein eigener.

Erstens schauen die 99,9 Prozent den 0,1 Prozent dabei zu, wie ehrwürdige Plätze ihres Charakters beraubt werden – was nur den nicht stört, der „Hau-drauf“-Spektakel vor die Substanz subtiler Spielfertigkeit stellt. Zweitens kann niemandem egal sein, der Golf in seiner Komplexität liebt und in seinem gesamten Wesen erfasst hat, dass großartige Kurse wie Augusta National oder selbst der Old Course ständig umgebaut und angepasst, erweitert und in ihrem originären Charakter verfälscht werden, bloß weil die Bälle ständig weiter fliegen.

3. Geld und Zeit sehr wohl gut investiert

Noch ein McIlroy-Vorwurf: Das ganze Schlaglängen-Ballyhoo sei „pure Zeit- und Geldverschwendung“. Falsch. Die Aufgabe der Verbände ist nun mal, den Charakter und die Strukturen des Golfsports zu wahren, zu behüten, zu pflegen und zeitgemäß zu entwickeln. Das tun sie nicht immer ohne Anlass zu Kritik. Aber in diesem Fall geht es um grundlegende Faktoren im Wesen des Spiels, die drohen obsolet zu werden.

4. Der Vergleich mit anderen Sportarten hinkt

Ein gern serviertes Argument ist der Hinweise auf andere Sportarten. So war zu lesen, dass man beispielsweise im Basketball keineswegs das Spielfeld erweitert oder die Körbe höher hängt, nur weil die modernen Spieler schneller laufen oder höher springen. Da werden allerdings Äpfel mit Birnen verglichen.

Im Basketball etc. gibt es Gegner, die im Weg stehen und Spielzüge aktiv zu verhindern trachten. Golf hingegen wird vornehmlich gegen den Platz gespielt, das Geläuf ist der Gegner. Bei Drives von deutlich jenseits 300 Metern freilich spielen Bunker, Doglegs, Wasserhindernissse, die Herausforderung durch Geländekonturen, Spiellinien und Annäherungswinkel keine Rolle mehr, werden samt und sonders einfach überspielt. Wer das zulässt, beraubt die Plätze ihrer „Waffen“.

Bryson DeChambeau hat bei der US Open in Winged Foot gezeigt und im November in Augusta einmal mehr angedeutet, wohin das führen kann.

5. Der Weg ist das Ziel

Dustin Johnson führt an, dass sich trotz der Schlaglängen-Entwicklung die Scores seit 15 Jahren kaum verändert haben, Golf folglich keineswegs zu einfach geworden sei. Das mag sein, aber um die Schlagzahl geht es gar nicht. Erst recht nicht, wenn sich der Schwierigkeitsgrad lediglich dadurch definiert, wie krautig das Rough wuchert und wie eng die ins Fairway geschnittenen Schneisen sind. Das ist der Rückfall ins bestrafende Design des beginnenden 20. Jahrhunderts.

Im Golf ist der Weg das Ziel. Und dieser lebt von seiner kreativen Gestaltung, soll Strategie, Course Management und Shot Making fordern. Bernhard Langer hat mal gesagt: „Du musst dich über den Platz denken“. Stattdessen mutiert der Umgang mit diesen Aufgaben zum „Sightseeing aus der Vogelperspektive“. Deswegen betont R&A-Chef Martin Slumbers: „Schlagfertigkeit muss wieder vor Schlagstärke stehen.“

Oder anders: Warum hat der moderne Profi überhaupt noch 14 Schläger im Bag, wenn DeChambeau und Co. eh meist nur die Hölzer, die Wedges und den Putter brauchen und der moderne Golfsport zum langen Schlag mit anschließendem Pitch&Putt-Wettbewerb zu verkommen droht.

6. Warum das Design-Rad neu erfinden?

Für Webb Simpson liegt die Lösung nicht beim Material, sondern beim Design; schiere Länge sei jedenfalls keine Lösung. So weit, so einverstanden. Doch er propagiert hohes Rough, Doglegs, schmalere Fairways, kleine, härtere Grüns und so weiter. Ganz abgesehen davon, dass diese Aspekte so wenig mit Design zu tun haben wie Long-Drive-Contests mit Golfspielen (Sic!), stellt sich zügig die Frage: Wie soll das gehen? Sollen bestehende Kurse diesbezüglich umgebaut werden?


Ausbund aller absurden Argumentationen ist Simpsons Flickschusterei-Vorschlag für die im Wortsinn arg unter Beschuss geratene ikonische „Azalea“ im Augusta National Golf Club:

„Sie müssen an der 13 nicht mal den Abschlag noch weiter nach hinten versetzen. Sie brauchen bloß einen mittelgroßen Baum 18 Meter vor und anderthalb Meter links vom Abschlag hinzustellen. Dann können die Jungs nicht mehr rechts aufteen und die Ecke ,cutten' oder sogar über die Bäume spielen.“

Augusta Nationals Schöpfer Dr. Alister MacKenzie und Bobby Jones rotieren gerade in ihren Gräbern …


Der Autor imaginiert derweil, dass die grandiosen Doppelgrüns des Old Course getrennt werden und seine Fairways – Blaupausen für strategisches Design – bis zur Unkenntlichkeit zuwachsen. Dass eine Perle wie Riviera zerfleddert, ein Kleinod wie Merion verschlimmbessert, die Einzigartigkeit eines Royal Melbourne verschoben wird. Gruselige Visionen.

Und: Wer soll das bezahlen? Nicht jeder Club hat so viel Geld wie Augusta National – und selbst dort ist der verfügbare Raum endlich.

Fazit: Herausforderung statt Unspielbarkeit

Hand aufs Herz: Merkt wirklich jemand von außen, ob die Bälle wieder weniger weit fliegen? Nö. Aber die Spielwinkel verändern sich, der Radius des Erreichbaren vom Abschlag. Der Kurs und die Kreativität seiner Gestaltung sind wieder im Spiel.

Was sind schon 20 oder 30 Meter Distanz, sofern im Gegenzug genuine Parcours-Charakteristika nicht mehr durch Aus- und Umbauten verhunzt, Set-ups nicht bis an den Rand der Unspielbarkeit oder darüber hinaus getrieben werden? Erst recht, falls dafür womöglich keine gravierenden Materialänderungen oder ein zweigeteiltes Regelwerk notwendig wären – siehe Mindestloft beim Driver.

Kronjuwelen des Golfsports brauchen Fürsprache

Die Integrität der Design-Ikonen und ihre Bedeutung für das Wesen des Spiels sollte der gesamten Golfgemeinde eine unvoreingenommene Betrachtung des Distanz-Dilemmas wert sein. Was wäre perfekter, als die besten Spieler der Welt auf den wunderbarsten Plätzen der Welt zu sehen, von deren Features umfassend gefordert bis ins tiefste Fingerspitzengefühl. Es ist erstaunlich, wie wenig Fürsprecher die Kronjuwelen des Golfsports haben; umso mehr Dank gebührt R&A und USGA.

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