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Die „Graugolfer“ und die EGA-Keule: Mimimi statt moderne Mentalität

10. Feb. 2021 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Ob sich clubfreie Golfer freuen, wenn sie Graugolfer genannt werden? (Foto: Getty)

Ob sich clubfreie Golfer freuen, wenn sie Graugolfer genannt werden? (Foto: Getty)

Der Duden definiert die Vokabel Trend als „über einen gewissen Zeitraum bereits zu beobachtende, statistisch erfassbare Entwicklung(stendenz)“. Manchmal freilich legen Trends eine vergleichsweise atemberaubende Entwicklung an den Tag, und man kommt mit dem Zählen kaum hinterher. Wer hätte gedacht, dass so was selbst im wenig wendigen mal Golfsport zu beobachten ist?

Aktuell Wachstum von 4,6 Prozent

Am 30. September 2020 hat der Deutsche Golf Verband (DGV) seine jährliche Clubgolf-Inventur abgeschlossen. Doch während die Sporthoheit in Wiesbaden mit der Auswertung des Zulaufs von 1,4 Prozent beschäftigt war – was nicht auf den ersten Blick Jubelschreie auslöst –, hielt der von Corona und Shutdown befeuerte Run im Oktober und November sowie im neuen Jahr an. Winter hin oder her. Stand heute liegt die Quote laut DGV-Recht&Services-Vorstand Alexander Klose bei 4,6 Prozent und rund 65.000 mehr Mitgliedern als am 1. Januar 2020. Klingt schon besser.

1,53 Millionen, die bloß spielen wollen

Der DGV hat außerdem an anderer Stelle mal wieder nachzählen lassen – bei den Clubfreien, die „sich selbst als aktive Golfer bezeichnen und regelmäßig Golf spielen“ (DGV) und gegenüber dem Zensus von 2016 auf 1,53 Millionen angewachsen sind. Ein Plus von gut 500.000: Das ist Wachstum!

Diese Entwicklung liegt nicht ausschließlich an Corona und der Flucht auf die Fairways angesichts von Distanzgebot und verriegelter sonstiger Sportanlagen. Vielmehr widerspiegelt sich die Entwicklung der Freizeitkultur, in der eine Spaßgesellschaft 4.0 allerlei Entertainment goutiert, durchaus mit gewisser Regelmäßigkeit, sich indes halt nicht mehr einer einzigen Sportart verschreiben oder gar an tradierte Clubstrukturen binden will.

Stigmatisierung vermeintlicher Schmarotzer

Unseligerweise werden indes genau diese modernen Menschen vom Golf-Gemeinwesen als Graugolfer oder Golfnomaden stigmatisiert und als Schmarotzer einer Solidargemeinschaft verunglimpft, die jahrein jahraus mit ihren Mitgliedsbeiträgen mühsam Golfvereine durchfüttert, deren letztes Stündlein ohne ein solches planwirtschaftliches Subventionssystem ansonsten längst geschlagen hätte.

Man könnte sie freilich gleichermaßen als Chance begreifen. Wie es Englands Verbandschef Jeremy Tomlinson getan hat, als er vor kurzem ein Handicap für eben diese „Unorganisierten“ ins Gespräch brachte, geschätzt bis zu 1,8 Millionen allein in seinem Einzugsgebiet.

Tomlinsons „vogelwilder“ Vorschlag

Ach du liebe Güte, frisches Gedankengut, unkonventionelle Ideen, die Vorstufe zum Revoluzzertum gar – derart vogelwilde Vorschläge hört man im Establishment überhaupt nicht gern. EGA-Präsident Haukur Örn Birgisson packte folglich umgehend die Bürokratie-Keule aus: Das sei nicht mit der European Golf Association abgestimmt – Mimimi. Das hätte vorher diskutiert werden müssen – Mimimi. „Ich glaube nicht, dass sich diese Idee sehr lange halten wird“, fasste DGV-Präsident Claus M. Kobold im Gespräch mit Golf Post die Haltung der EGA zu Tomlinsons Vorschlag zusammen.

Hand ausstrecken, aber nur kleinen Finger nehmen

Nur noch mal zur Verdeutlichung: Da gibt es europaweit eine mehrere Millionen starke Golfgruppe, die dem Spiel wohlgesonnen ist und seine Faszination goutiert. Doch das System verschanzt sich hinter dem Dienstweg statt ein angemessenes Angebot zu adressieren, das einbindet, trotzdem nicht vereinnahmt; statt die Hand auszustrecken, aber lediglich den kleinen Finger zu nehmen, um diese flüchtige Spezies nicht zu verprellen, die bloß spielen will. Eine aufschlussreiche Botschaft.

Tendenz zum „casual“ Golf wird weiter steigen

Innovationsbereitschaft sieht anders aus: Der Wille, einige Weichen neu zu stellen, alte Zöpfe mindestens neu zu flechten. Selbst wenn sich die Renaissance der vor Corona schon als Auslaufmodell gehandelten Clubmitgliedschaft auch nach Corona bestätigen sollte – die Tendenz zum „casual“ Golf wird sich fortsetzen, wird weiter ansteigen. Hier und da mal spielen, wo es besonders schön ist, im Urlaub überdies, während Alltag, Job und Familie kaum Zeit für derlei intensive Hobbys lassen. Künftig wohl weniger denn je.

Diskriminierung muss ein Ende haben

Die Smartgolfer, den Clubgolfern zahlenmäßig jetzt schon doppelt bis dreifach überlegen, werden den Instanzen auf Dauer über den Kopf wachsen. Es ist höchste Zeit, mit der Diskriminierung dieser Klientel als Parias aufzuhören und Golfanlagen als das zu verstehen, was sie heutzutage sein müssen: Akteure in der freien Marktwirtschaft, die mit zeitgemässen Offerten und Alleinstellungsmerkmalen gerade um diese besondere Form der Laufkundschaft werben. Ein Handicap für „wirklich alle“ – begünstigt durch das neue World Handicap System, ohne Zwänge, miefige Traditionen oder Vereinsmeierei – wäre schon mal ein gutes Zeichen der Solidarität, das wenig kostet, andererseits viel bringen kann.

Höchstinstanzlicher Segen des R&A

Nur gut, dass selbst die Golf-Gralshüter beim R&A trotz ihrer Jahrhunderte zurückreichende Wurzeln flexibel sind und vorwärts denken. Sie haben Tomlinsons Thema bereits ihren höchstinstanzlichen Segen gegeben. Irgendwie wird die Handicap-Verwaltung für Jedermann wohl kommen. Apropos: Bei der EGA kommt dieses Jahr turnusmäßig ein neuer Präsident: Birgissons Nachfolger heißt Jan Hubrecht und ist – Engländer.

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