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Heilige Kuh des Ballflugs wird an die Leine gelegt: Und wo ist das Problem?

15. Mrz. 2023 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Die geplanten Änderungen von USGA und R&A sorgen für Gesprächsstoff. (Foto: Getty)

Die geplanten Änderungen von USGA und R&A sorgen für Gesprächsstoff. (Foto: Getty)

Na klar, jetzt setzt das große Jaulen ein: Nehmt uns die Länge nicht weg, gebt uns die Distanzen wieder. Die Hersteller heulen, die von ihnen bezahlten Spieler spucken Gift und Galle, einige Medien zündeln schon an ihrer Lobbyisten-Lunte. Und im Netz wird über einen Rückfall in die Steinzeit von Persimmon-Holz und gewickelter Murmel gespottet. Oder so was verbreitet: 

Alles nur, weil USGA und R&A es mit ihren Plänen zu den künftigen Standards von Tour-Bällen wagen, die heilige Kuh des Ballflugs an die – weiterhin – lange Leine zu nehmen. Weil sie das Spiel den Anforderungen der Zeit und ökologisch-ökonomischen Notwendigkeiten anpassen, gleichzeitig seine Tradition schützen wollen. Eigentlich ein Widerspruch, in diesem Fall glücklicherweise bloß ein Paradoxon. „Nichts zu tun, wäre fahrlässig“, konstatiert USGA-CEO Mike Whan. „Mehr noch: Es wäre grenzenlos unverantwortlich, die Frage einfach an die nächste Generation weiterzugeben oder von Zehntausenden von Golfanlagen zu verlangen, weiterhin Millionen von Dollar zu investieren, um mit der Entwicklung Schritt zu halten.“

Geradeaus ist Bleifuß, Kurve ist Kunst

Den Betonköpfen ist das egal. Hauptsache: weit. Weit. WEIT! Krachen lassen. Haudraufundschluss, wie bei Asterix. Alles unter 300 Metern ist, als ob Tiger Tampons verteilt. „Jeder möchte, dass die Leute weiter schlagen“, gibt Bryson DeChambeau – wer auch sonst – den Sprecher der Brett-vorm-Kopf-Fraktion und ihrem Bleifuß-Denken. Wie beim Streit um ein Tempolimit. Doch 300 km/h sind lediglich Vollgas. Kurve ist Kunst. Genauso verhält es sich beim Golf. Design ist die DNA des Spiels. Aber sie wird zunehmend aus dem Spiel genommen.

Ökologischer Irrsinn um des Spektakels willen

Ganz gleich, wer da wem gefolgt ist, die Golfplatz-Entwickler dem Erfindungsgeist der Industrie oder die „Materialisten“ den fürs lukrative „Wohnen am Golfplatz“ immer ausgedehnteren Bahnen: Es kann nicht angehen, dass schiere Länge über Wohl und Wehe, über die Widerstandsfähigkeit einer Wiese entscheidet. Dass „Golden-Age“-Plätze von den Professionals zerlegt und zu Kurzkursen degradiert werden. Dass Links-Ikonen wehrlos gegen das Weltraummaterial und die Athletik der Spieler sind, wenn kein Wind weht. Dass Bunker, Doglegs, selbst Aus-Grenzen keine Rollen mehr spielen.

Überhaupt, dass Plätze immer mehr Flächen fressen, mehr Wasser, Dünger und Manpower benötigen. Alles bloß, damit die Bälle so weit fliegen, dass man sie eh kaum noch erkennen kann – ökologischer Irrsinn um des Spektakels willen. Wie langweilig muss Golf früher gewesen sein? Als Bernhard Langer, Nick Faldo und Seve Ballesteros ums grüne Masters-Sakko spielten beispielsweise …

„Es geht darum, Golfplätze schwieriger zu machen“

Ironie wieder aus. Bei allem Respekt vor der Fertigkeit, die Plastikmurmel trotz eines irrwitzigen Schwungtempos präzise zu treffen: Mit den modernen Schlaglängen verkommt Golf zum Ballerspiel. Das mag dem Zeitgeist entsprechen, dennoch läuft da seit langer Zeit was schief. Gegenmaßnahmen waren überfällig. Auch wenn DeChambeau das „schrecklich“ findet: „Es geht nicht darum, die Flugweite der Bälle zu reduzieren, sondern darum, Golfplätze schwieriger zu machen.“ Genau: wieder schwieriger. Bingo! Er ist halt ein Fuchs, der „Mad Scientist“, das eine folgt aus dem anderen.

Design allein ist keine Alternative

Mit mehr Fokus oder der Besinnung auf eine ausgeklügelte Gestaltung allein – wie beispielsweise von Webb Simpson als Alternative angesprochen – ist es nämlich leider nicht (mehr) getan. Tiger Woods und sein Chefdesigner Beau Welling sind ganz sicher keine kreativen Kleingeister, gleichwohl bauen sie in Utah einen über 7.300 Meter langen Parcours samt 640 Meter langem Par-5 und 270 Meter langem Par-3. Aberwitzig.

Dabei ist das Geläuf des exklusiven Marcella Club beileibe nicht als Tour-Standort vorgesehen. Doch bei den Schlaglängen, die sogar gute Amateure längst erreichen, braucht auch Design halt viel mehr Raum – somit beißt die Katze sich in den Schwanz.

Da können Titleist und andere noch so vehement gegen den „Lösungsvorschlag für ein erfundenes Problem“ oder den Beelzebub Bifurcation wettern: All diese Reaktionen in der Distanzdebatte sind reflexhaft. Und wohlfeil. Man tut gut daran, stattdessen die Anmerkung von Padraid Harrington zu verinnerlichen. „Ein ,Roll back’ des Balls bringt enorme Vorteile“, konstatiert der angehende Hall-of-Famer aus Dublin: „Für Pacht-, Bau- und Greenkeepingkosten, Pflegeaufwand, Spielgeschwindigkeit, Schonung von Ressourcen, die gesamte CO₂-Bilanz des Platzes.“

Verschmerzbare Sonderauflage fürs Tour-Personal

Natürlich sind die Hersteller not amused. Der Move von USGA und R&A wird ein bisschen Sand ins wohl geölte Getriebe rieseln lassen: Wir Hacker sollen halt für teuer Geld dieselben edlen Geschosse in die Wicken hauen, mit denen Scottie Scheffler, Jon Rahm oder Rory McIlroy agieren. Deren Schlag-Werkzeuge freilich haben außer Marke und Modell ebenfalls längst nichts mehr mit dem zu tun, was für unsereins im Pro-Shop in der Auslage steht. Und wer Kugeln ohne Dimples für einen Ballistik-Klamauk basteln kann, ohnehin permanent tüftelt und pro Jahr weltweit sowieso an die zwei Milliarden Bälle produziert, wird gleichsam eine limitierte Sonderauflage fürs Tour-Personal verschmerzen können.

Palmer, Nicklaus und Co. hatten auch zwei Bälle

Überhaupt: Wo ist eigentlich das Problem? Ab 2026 schlägt die Elite ein paar Prozent kürzer, die Verhältnisse bleiben gewahrt, die Longhitter sind weiterhin vorn, Platzelemente sind plötzlich als Spannungselemente (wieder) im Spiel, abseitige Bälle liegen nicht mehr so nah am Grün, dass sie sich mit dem ganz kleinen Wedge aus dem Kraut löffeln lassen. „Beim Golf geht es nicht nur um den Driver, sondern um eine Balance aller Schläger im Bag“, merkt R&A-Chef Martin Slumbers an und wiederholt, was er schon oft gesagt hat: „Golf beruht auf ,Skills‘, auf Geschick, Können und Kunstfertigkeit, nicht auf roher Gewalt.“

Folglich trainieren die Herren Professionals künftig mit zwei Sorten von Bällen. Na und? Gab’s alles schon mal: Arnold Palmer, Jack Nicklaus oder Tom Watson gewannen ihre insgesamt 13 Open Championships mit dem bis 1990 gebräuchlichen, kleineren britischen Ball. Was soll also das Gejammer!?

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