Panorama

Neuer Schlaglängen-Report – Golf hat nun offiziell ein Distanz-Problem

06. Feb. 2020 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland

USGA und R&A haben ihren Schlaglängen-Report veröffentlicht. (Foto: Getty)

USGA und R&A haben ihren Schlaglängen-Report veröffentlicht. (Foto: Getty)

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Schau an, jetzt ist‘s doch ganz oben angekommen: Die Großkopferten des Spiels nehmen eine der größten Bedrohungen für den Golfsport und seine Zukunft endlich von Amts wegen ernst. USGA und R&A haben den lange angekündigten „Distance Insights Report“ veröffentlicht und kommen tatsächlich zu der Einsicht, dass „Golf im Lauf der nächsten Dekaden und darüber hinaus am besten gedeihen wird, wenn dieser anhaltende [Teufels-]Kreis von ständig zunehmender Schlaglänge und Golfplatz-Erweiterungen ein Ende hat“.

Monströse Platzlängen statt strategische Kurse

„Ach was!“ möchte man mit dem große Loriot sagen. Oder mit „My Fair Lady“: „Mein Gott, jetzt haben sie‘s!“ Es wurde wahrhaft Zeit.

Beinahe gebetsmühlenartig haben in den vergangenen Jahren alle ein Eingreifen gepredigt, die sich aus Leidenschaft den Kopf über Golf zerbrechen – zuvorderst Gary Player, Jack Nicklaus oder Tiger Woods –, und zum Beispiel eine Modifikation des Balls gefordert. Derweil werden auf den Profi-Touren grandiose Plätze förmlich zerlegt und großartige Designs obsolet, weil sie auf Strategie, Shotmaking sowie Präzision ausgerichtet sind, jedoch der Kombination aus Weltraummaterial, Athletik und Schwungdynamik, diesem Ansturm der schieren, alle Hindernisse aus dem Spiel nehmenden Gewalt, nichts entgegenzusetzen haben. Andere Kurse wiederum haben längst die 8.000-Yards-Grenze (7.300 Meter) überschritten, das ist einfach nur monströs.

Demnächst Drives jenseits von 365 Metern

Die Verbände sahen der Entwicklung untätig zu, klammerten sich ans Par und verschlimmbesserten in ihrer Hilflosigkeit allenfalls das Set-up in Richtung Lächerlichkeit oder Unspielbarkeit – siehe die US Open von Erin und Shinnecock Hills. Jetzt heißt es: „Größere Distanzen, längere Kurse, Spiel von hinteren Tees und wachsende Spieldauer führen in die falsche Richtung und sind nicht zielführend, um Golf auch künftig herausfordernd, vergnüglich und nachhaltig zu machen.“ Immerhin seien viele unterschiedliche Fertigkeiten für einen guten Score erforderlich, nicht bloß eine oder einige wenige. Das bleibe essenziell, um die weltweite Vielfalt der Plätze genießen zu können, ohne dass diese dafür länger werden müssten. Kurz: Golf hat nun offiziell ein Distanzproblem.

„Ich stehe absolut hinter einer Verkürzung der Schlaglängen – allein schon wegen der Kosten für einen Golfplatz in punkto Flächenbedarf, Greenkeeping, Wasserverbrauch … Wir haben tolle Kurse, die nicht mehr genutzt werden können. Meine persönliche Maßnahme wäre, reduzierte Materialspezifikationen zu setzen, beispielsweise ein ,Rollback‘ des Balls um zehn Prozent, und dann sollen die Equipment-Hersteller auf der Basis neu starten und wetteifern.“

Padraig Harrington, Ryder-Cup-Kapitän Team Europe 2020 und R&A-Botschafter

Die Zahlen dahinter sind schnell reportiert. 1995 betrug die durchschnittliche Drive-Länge der 20 Top-Longhitter unter den Professionals durchschnittlich 278 Yards, mittlerweile sind die „langen Kerls“ im Schnitt bei 310 Yards und der Profi-Durchschnitt bei 294 Yards. Jedes Jahr wird es mindestens ein Yard mehr.

Im Lauf der vergangenen 24 Monate haben USGA und R&A allerlei Reports ausgewertet und kommen zu einem Szenario, das viel erschreckender ist. Demnach bringen es die Elitespieler bei ungebremstem technischem Fortschritt in absehbarer Zeit auf ein Schwungtempo von über 230 km/h Meilen, Ballgeschwindigkeiten von knapp 350 km/h und Weiten jenseits von 365 Metern. In Augusta schauen sie sich vermutlich gerade fieberhaft nach weiteren Grundstücken für neue Champions-Tees um …


Im Ernst: Golfplätze sind demgegenüber nicht unendlich zu erweitern, gerade die längst in die Kulturlandschaft eingewachsenen Traditionskurse nicht. Und sowieso: Mehr Fläche kostet mehr Geld, ob Pacht oder Kauf; verschlingt mehr Pflegebüdget samt Wasserverbrauch etc.; verursacht mehr Zeitaufwand für die Runde und und und. Sinnvoll ist das alles kaum. Nachhaltig schon gar nicht.

Freizeitgolfer spielen oft von zu langen Abschlägen

Nun wird Otto Normalgolfer sagen: Was schert mich das alles, meine Bälle fliegen gerade mal so weit, dass ich problemlos noch den Aufschlag hören kann; es betrifft allenfalls einen vergleichsweise geringen Prozentsatz von Spielern und von Turnierplätzen. Mag sein, doch schaue ein jeder mal auf seine persönliche Bucket List, da steht garantiert mindestens einer dieser arrivierten, berühmten, spektakulären Plätze drauf. Und Ökologie geht ohnehin jedermann an.

Außerdem haben USGA und R&A herausgefunden, dass Freizeitgolfer sich gern zur Wahl falscher Abschläge verführen lassen, wiewohl sie kaum über 190 Meter kommen: „Sie spielen von Tees, die länger sind als notwendig“ – dem Ego geschuldet und am Ende mit Frust über den Score bestraft.

„Problem im Interesse aller Golfer lösen“

Trotz der Erkenntnistiefe mangelt es dem „Distance Insights Report“ an konkreten Maßnahmen oder Lösungsvorschlägen. Sehr bewusst. „Es ist momentan nicht beabsichtigt, die allgemein gültigen Materialspezifikationen derart zu revidieren, dass dies auf allen Ebenen des Spiels zu substanziellen Reduzierungen der Schlaglängen führt“, steht dort geschrieben. Das ist mit Vorsatz vorsichtig formuliert. Und mit Betonung auf „derzeit“ und „allen“.

Die Sachwalter des Spiels wollen erst mal abwarten, welcher Wind ihnen jetzt insbesondere aus der Industrie ins Gesicht bläst. Entsprechend vorsichtig äußerte sich USGA-Boss Mike Davis: „Wir haben noch keinen Notall, es ist noch keine Krise. Nichts passiert über Nacht. Aber wir müssen dieses Problem im Interesse aller Golfer lösen.“

Kommt das zweigeteilte Regelwerk?

Sämtliche sachkundigen Interpretatoren des 99 Seiten Ergebnisse plus 15 Seiten Fazit umfassenden Reports sind sich einig, worauf‘s letztlich hinausläuft. Auf Eingriffe in die Spezifikationen, entweder beim Ball oder beim Driver, und wohl auf ein zweigeteiltes Regelwerk für Profis und Top-Amateure einerseits und Hobbygolfer andererseits, die weiterhin unverdächtig sein dürften, selbst nur 5.000 Meter lange Plätze auseinander zu nehmen.

„Wieso sollen wir alles schuld sein? Klar, es gibt einen Längenwachstum: teils durch den Ball, teils durch die Physis der Spieler, teils durch die Maximierung der Technik insgesamt. Aber wir haben doch nicht entschieden, den Ball weiter zu schlagen, oder die Industrie! Vielmehr sind zuerst die Golfplätze länger geworden – weil die Projektentwickler dann an diesem Loch noch vier zusätzliche Häuser oder an jener Bahn noch zwei Häuser mehr bauen und so mehr Geld verdienen können. Spieler und Hersteller haben diese Herausforderung angenommen, aber wir sind nicht allein für die  Entwicklung verantwortlich.“

Paul Casey, englischer Ryder-Cup-Spieler und viele Jahre auf der PGA Tour unterwegs

Mit dem jetzt veröffentlichten „Distance Insights Report“ ist der erste Pflock für einen Prozess eingeschlagen, an dessen Ende beinahe zwangsläufig Material- oder Regeländerungen stehen. Der Zeitrahmen ist bereits gesetzt. Die Spezialisten in Far Hills/New Jersey und in St. Andrews stellen einen Katalog möglicher Maßnahmen wider die Längen-Inflation auf, binnen 45 Tagen sollen weitere Analyse-Details folgen und dann übers Jahr mit den Herstellern diskutiert werden. „Wir kriegen das alles nur hin, wenn die gesamte Industrie mitzieht und sich daran beteiligt, dass unser Spiel auch in 50 Jahren noch blüht“, verdeutlichte R&A-Chef Martin Slumbers.

„Krieg um die Zukunft des Golfsports“

Das Equipment-Establishment freilich wird alles andere als begeistert sein, eher schäumen über das, was da am Horizont aufzieht. Ärger ist programmiert, den Golf-Gralshütern stehen dornige Zeiten bevor. Europas Ryder-Cup-Kapitän Padraig Harrington sprach von einem „Schock für das System“. Fachjournalist Eamon Lynch nannte den Report in „Golfweek“ eine „Revolution mit Ansage“ und formulierte: „USGA und R&A haben im Krieg um die Zukunft des Golfsports den ersten Schuss abgefeuert. Der war ebenso überfällig wie notwendig.“

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