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Collin und Co. in Tokio: Und plötzlich entflammt der olympische Geist doch

27. Jul. 2021 von Michael F. Basche in Saitama, Japan - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Es ist schwer dem olympischen Geist auszuweichen, wenn man bei den Spielen ist. (Foto: Getty)

Es ist schwierig, dem olympischen Geist auszuweichen, wenn man bei den Spielen ist. (Foto: Getty)

Letztlich ist’s dann doch Olympia. Was ganz besonderes. Womöglich ärgert sich Martin Kaymer im Nachhinein ein bisschen über seine Entscheidung, die im Vorhinein so verständlich war: Die Spiele von Tokio seien „in diesem Jahr nicht das, wofür Olympia steht“. Ja, es mutet seltsam an, ein „Treffen der Jugend der Welt“ hinter Gesichtsmasken und vor leeren Tribünen, unter dem Diktat des Corona-Notstands für Japans Hauptstadt-Moloch und drei Nachbar-Präfekturen. Doch der olympische Geist, von den fragwürdigen Machenschaften des IOC im Schatten der Flamme eh längst in die Flucht geschlagen, lebt zuvorderst von und in den Athleten.

Begegnung und Austausch trotz allem

Und die wiederum leben den Spirit, das kommt allenthalben rüber. Man trifft sich: im olympischen Dorf, an den Essensausgaben in der Mensa, in der Mucki-Bude. Begegnung und Austausch – elementare Aspekte des olympischen Gedankens – finden statt, quer durch sämtliche Disziplinen und Kulturen, trotz allem.


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Das gilt gleichermaßen für die vielfach millionenschweren Golfstars, die allen pandemischen Widrigkeiten und einer stundenlangen Einreise- und Testprozedur zum Trotz zum zweiten Mal in der Golfmoderne um Edelmetall wetteifern – fünf Jahre nach dem Comeback des Spiels in Rio de Janeiro, das zuvor 112 Jahre lang bloß Zaungast der Olympischen Spiele war.

Dafür nehmen Champion-Golfer Collin Morikawa – nach Jon Rahms Covid-Aus der Weltbeste in Tokio – und Co. kleine und karge Quartiere mit Betten aus Pappe oder etwa die täglichen Autominuten zum und vom Kasumigaseki Country Club im nordwestlich gelegenen Saitama in Kauf. Und saugen jede Sekunde des Daseins als Olympioniken in sich auf, erfüllt von patriotischem Prestige – Rory McIlroy vielleicht ausgenommen.

„Olympia sollte man unbedingt erlebt haben“

Max Kieffer und Hurly Long sind noch Stunden später geflasht von der Eröffnungsfeier; Justin Thomas spaziert wie selbstverständlich zu einem kleinen Workout ins Gemeinschafts-Gym des Athletendorfs und amüsiert sich über die kaum benutzten Hanteln seiner Gewichtsklasse; Mel Reid lässt für die „einmalige Gelegenheit“ Olympia sogar ein Major sausen; Mexikos Gaby Lopez verzichtet ebenfalls auf die Evian Championship, um die heimatliche Fahne ins Stadion zu tragen („Eine unglaubliche Ehre“); der für Bryson DeChambeau nachgerückte Patrick Reed fühlt sich endlich mal wieder als „Captain America“. Und und und.

Inbee Park, die Titelverteidigerin, mehrfache Weltranglisten-Erste und siebenfache Majorsiegerin, bringt es auf den Punkt: „Ich habe im Golf eine Menge erreicht, aber der Gewinn der Goldmedaille ist was völlig anderes und sehr besonderes. Olympia sollte man unbedingt erlebt haben, wenn man die Möglichkeit hat. Schade, dass nicht alle in der Golfszene so denken.“ Abraham Ancer souffliert indirekt: „Wenn du erzählst, du habest eine Goldmedaille gewonnen, dann weiß wirklich jeder, was gemeint ist und was das bedeutet.“

Und so posieren sie denn alle stolz vor den fünf Ringen und in den Farben ihres Landes, angefangen bei Tommy Fleetwood und Paul Casey, die England und den nicht qualifizierten Rio-„Regenten“ Justin Rose vertreten.


Wie gesagt, außer Rory McIlroy wohl. Der Nordire im irischen Trikot sieht die Tage vor den Toren Tokios als simple Möglichkeit, „eine weitere Woche Golf zu spielen und zu versuchen, mein Spiel in Form zu bringen“. Immerhin indes erklärt er sich überdies noch zum Botschafter des Golfsports.

Betagtes Spiel modern präsentieren

Da hat er mehr verstanden als IOC und Golfweltverband IGF, die erneut eine Gelegenheit verstreichen lassen, das betagte Spiel zeitgemäß, attraktiv und popularitätsfokussiert zu offerieren – da nun die Weltöffentlichkeit schon mal mit olympischem Interesse zuschaut.

Wieder stehen zwei Mal vier Tage Zählspiel auf dem Programm, eine stundenlange Angelegenheit, die auf dem Bildschirm selbst Golffans ermüdet und bei der es auch Zusammenfassungen kaum besser machen, während woanders geschwitzt und geschnauft, im Wort- wie im übertragenen Sinn gebolzt wird, alle möglichen mitreißenden Moves geboten werden. Ganz abgesehen davon, dass sich die Finessen zwischen erstem Tee und 72. Grün ohnehin nur dem Golf-Gourmet erschließen.

Warum nicht mehr Spektakel?

Warum nicht Match Play? Warum nicht ein Team- und/oder Mixed-Wettbewerb? Warum nicht ein kürzeres Format à la Golf Sixes? Warum nicht „Side Kicks“ oder Demos wie Speed Golf oder Long Drive Contest? Generell: Warum nicht mehr Spektakel, um selbst den nicht-golfaffinen Olympia-Zuschauer vor Staunen aus dem Sessel zu hieven, um Werbung fürs Spiel zu machen.

Zumal, wenn eine telegen präsentable Weitschlag-„Zirkusnummer“ wie „Holz-Hulk“ DeChambeau fehlt, andererseits coole Jungstars wie Debüt-Dominator Morikawa, Viktor Hovland, Matthias Schwab, Joaquin Niemann, Xander Schauffele, Guido Migliozzi oder Garrick Higgo als wunderbar zu transportierende Testimonials dabei sind.

Nippons neuer Nationalheld

Die Japaner wenigstens werden definitiv gebannt und begeistert auf den 1929 gegründeten Kasumigaseki Country Club schauen; wenigstens der außerordentlichen Aufmerksamkeit seiner Gastgeber kann sich Golf bei diesen „Spielen der XXXII. Olympiade“ – so der offizielle Titel, der sich stets auf den Zeitraum zwischen den Spielen (die Olympiade) bezieht – sicher sein. Denn da schlägt in der Nacht zum Donnerstag hiesiger Zeit Nippons neuer Nationalheld ab: Masters-Champion Hideki Matsuyama kehrt an die Stätte zurück, wo er 2010 die Asia-Pacific Amateur Championship gewonnen hat, und das golfverrückte Land der aufgehenden Sonne mit knapp zehn Millionen Aktiven steht geschlossen hinter seinem Golf-Stern.

Der 29-Jährige ist sich dessen bewusst. „Kasumigaseki war eine Art Katalysator für meine Karriere“, sagte Matsuyama dieser Tage. „Ich hoffe, dass ich diesen besonderen Boden jetzt für einen weiteren Sprung nutzen und mein Land mit Stolz erfüllen kann.“

Premier und Präsident auf Golfrunde

Die Bühne jedenfalls ist bereitet. Der elitäre Privatclub war schon öfters Schauplatz bedeutsamer Golf-Events, wenngleich Kasumigaseki international vor allem in Erscheinung trat, als Japans damaliger Premierminister Shinzo Abe dort vor einigen Jahren den US-Präsidenten Donald Trump zum informellen Austausch samt einer Runde Golf traf.

Während Matsuyama als Amateur auf dem West Course triumphierte, steht für’s olympische Turnier der East Course auf dem Spielplan, Par 71, 6.809 Meter für die Männer, 6.078 Meter für die Damen. Das Geläuf wurde kurz nach der Clubgründung vom britischen Star-Architekten Charles Hugh Alison überarbeitet, einem Partner des genialen Harry S. Colt.

Ursprünglich je zwei Grüns für Sommer und Winter

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war das Gelände für lange Jahre im Besitz der US Air Force; der East Course hatte bis 2016 für jedes Loch zwei Grüns –mit unterschiedlichen Grassorten für Sommer- bzw. Winterspielbetrieb. 2016 kamen US-Designer Tom Fazio und sein Sohn Logan, rückten die im Lauf der Jahrzehnte verwachsenen Fairways wieder ins ursprüngliche Routing, versetzten Bunker, bauten die doppelten Grüns zu einheitlichen Puttflächen um und polierten den Parcours dergestalt fürs moderne Spiel auf. „ Ich freue mich darauf, so ein Riesen-Event auf so einem tollen Golfplatz zu spielen“, sagt Hurly Long.

Das Schlusswort freilich gebührt dem ja eigentlich ungeliebten Patrick Reed, der übrigens erst als dritter Nachrücker angefragt wurde, nachdem die turnusmäßig vor ihm rangierenden Patrick Cantlay und Brooks Koepka offenkundig abgewinkt hatten. Reed trifft erst am Mittwoch in Japan ein und genießt das Olympia-Opus ohne Einspielrunde und mit lediglich theoretischen Platzkenntnissen.

Für Reed ist „Captain America“ eine Verpflichtung

Trotzdem: „Jedes Mal, wenn ich mein Land repräsentieren kann, werde ich das tun. Egal wie, wo und wann, in welcher Zeitzone oder auf welchem Weg“, gab er am Sonntag nach der 3M Open zu Protokoll, wo er geteilter 34. geworden war. „Die Fans haben mir den Namen ‚Captain America‘ gegeben, und das ist für mich eine Verpflichtung, für unser Land zu spielen, wann immer ich kann und wann immer ich den Anruf bekomme.“

Olympia ist halt in erster Linie, was man als Sportler draus macht. Und irgendwo ist immer jemand, der anfeuert und kreischt oder klatscht und jubelt.

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