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Der obsolete Old Course: Im Golfsport driften die Faktoren des Spiels auseinander

28. Jan. 2022 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Der Old Course in strahlendem Sonnenschein. (Foto: Getty)

Der Old Course in strahlendem Sonnenschein. (Foto: Getty)

Achtung, es folgt ein kleiner akademischer Ausflug: 1953 haben die Molekularbiologen James Watson und Francis Crick die Struktur der „deoxyribonucleic acid“, kurz DNA, decodiert und den Träger des Erbguts aller Lebewesen und Viren mit ihrem berühmten Doppelhelix-Modell veranschaulicht. Seit 1869 hatte die Wissenschaft zuvor alle notwendigen Informationen für das Puzzle der Desoxyribonukleinsäure zusammen getragen. Tragik, Irrtümer, Sackgassen, Eifersüchteleien inklusive. Die Golfwelt hat’s da deutlich einfacher: Das Genom des Spiels wurde von der Natur einfach als 18-Loch-Arrangement an der schottischen Ostküste ausgebreitet, für jedermann sicht- und erkennbar.

St. Andrews steht für die DNA des Spiels

Ein weit hergeholter Vergleich? Nicht wirklich. Der Old Course mit seinem Out- und In-Strang sowie den verbindenden Doppelgrüns ist die Doppelhelix des Golfsports, wenngleich es ebenfalls Jahre und intensive Studien braucht, um den Kurs zu kapieren. Das ehrwürdige Geläuf vor den Toren der Universitätsstadt – immerhin – St. Andrews vereint die Erbinformationen des Spiels, die Bausteine seiner DNA: Design, Strategie, gestalterische Features, Regularien. Dazu ideelle Elemente wie Tradition, Nimbus, Mythos und nicht zuletzt Faszination.

„Schrecklich eindimensional geworden“

Und das alles ist jetzt in Gefahr. Behauptet wenigstens Schottlands Altmeister Colin Montgomerie, der glaubt, dass die 150. Open Championship im Juli durchaus die letzte sein könnte, die auf dem Old Course ausgetragen wird. Weil die Kathedrale des Golfsports durch die unheilige Allianz von modernem Equipment und menschlicher Athletik obsolet und womöglich der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Zumal, wenn Wind und Wetter dem Platz nicht die Klauen schärfen. „Ich weiß, ich klinge wie ein alter Zausel, aber Golf ist schrecklich eindimensional geworden. Heute geht es nur noch um rohe Gewalt“, klagt der 58-Jährige: „Allein der Gedanke tut schon weh.“

Kniefall vor dem Evangelium nach Par

Sieben Par-4-Grüns, so fürchtet „Monty“, könnten direkt vom Abschlag aus angegriffen werden; und für die Par-5-Fünf reiche beim zweiten, dem Annäherungsschlag, vielleicht allenfalls ein Wedge-Zucken aus dem Handgelenk. Strategische Planung, Kurs-Management oder Shot Making haben ausgedient. Schon vor Jahren reagierte der R&A mit allergischem Erschauern auf die Entwicklung von Material und Muskulatur und ließ dem Old Course im Hinblick auf die Open 2015 ein Face Lifting verpassen – um „die Herausforderung des Platzes zu erhalten“, wie Euan Loudon, der damalige Vorsitzende des St. Andrews Links Trust, den willfährigen Kniefall vor dem Evangelium nach Par erklärte.

Genmanipulation am „heiligen Boden“

Folglich durfte der Architekt Martin Hawtree ein bisschen am Erbgut herumfummeln – Genmanipulation sozusagen –, derweil eine breite Mehrheit von Fachleuten über die Eingriffe in den „heiligen“ schottischen Boden, in das Fundament des „Home of Golf“, schäumte und von einem Sakrileg sprach. „Die historische Bedeutung der Formgebung des Old Course ist immens und muss auf jeden Fall erhalten werden – selbst um den Preis niedriger Ergebnisse“, schrieb seinerzeit der Präsident des US-Golfarchitekten-Verbands, Bob Cupp.

„34 unter Par auf Dauer ist langweilig“

Wie es scheint, wurde das Problem ohnehin bloß um ein paar Jahre in die Zukunft verschoben. Und die ist jetzt angebrochen. Natürlich stellt sich die Frage, was schlimm daran ist, wenn einer mit 20 oder 30 unter Par die Open gewinnt? Klar, warum nicht. Allerdings in Ausnahmefällen, die nicht zur Regel werden dürfen. Selbst die Spieler finden widerstandslose Wiesen ziemlich langweilig. „Manchmal macht es sicherlich Spaß, 34 unter zu schießen“, hat Collin Morikawa nach dem Erfolg von Cam Smith mit ebendiesem Gesamt-Score beim Tournament of Champions gesagt. „Wenn ich das indes jede Woche tun müsste bzw. wegen der Bedingungen könnte, wäre es total langweilig.“

„Unser gesamtes Schlagrepertoire fordern“

Es geht auch gar nicht ums Ergebnis allein. Sondern um die DNA. Design- und Strategie-Elemente, die das Spiel nun mal ausmachen und als Faktoren das Ergebnis beeinflussen, werden von der angesagten Hau-drauf-Attitüde aus dem Spiel genommen; Virtuosität zählt kaum noch, Kunstfertigkeit ist nicht mehr entscheidend. Das sieht nicht nur der Veteran Montgomerie so. „Statt Plätze wegen der Schlagweiten ständig länger zu machen, sollte eher unser gesamte Schlagrepertoire gefordert werden“, sagt sogar „Young Gun“ Morikawa, der bekanntlich als Titelverteidiger nach St. Andrews reist.

DeChambeaus Längen mit den Eisen

An dieser Stelle ist Bryson DeChambeau Abbitte zu leisten. Der „Hulk mit dem Holz“ nimmt die Bahnen nämlich nicht nur per Driver auseinander. Auf seine Planung und Vorbereitung für die Jubiläums-Open angesprochen, wies BDC dieser Tage darauf hin, dass er mit seinem übrigen Besteck gleichermaßen unfassbar weit haut: „Was mir wirklich Vorteile bringt, sind meine Längen mit den Eisen – 192 Meter mit dem Achter, 178 mit dem Neuner beispielsweise.“

Wenn er trotzdem nicht überall gewinnt, liegt’s an dem Umstand, dass auch Wedge- und Putting-Contests immer noch ihre Imponderabilien haben.

„Layouts , die jeden Aspekt des Spiels fordern“

Apropos Putt-Wettbewerb: Auch Jon Rahms Furor beim American Express gibt der an dieser Stelle schon mehrfach angesprochenen Distanz-Debatte neue Nahrung. Der Spanier, dem das Set-up in La Quinta deutlich zu einfach ausgelegt war, hat sich für seinen Dirty Talk („Fucking Course“) zwar entschuldigt, bleibt freilich in der Sache hart. „Absurd, dass es nicht mehr von Bedeutung ist, ob du ein Fairway triffst oder nicht. Egal wie und mit welchem Schläger – man schafft es dennoch aufs Grün“, erklärte Rahm, selbst ein Longhitter. „Ja, die Bahnen sollten schmal und das Rough richtig hoch sein. Vor allem jedoch möchte ich Layouts sehen, die uns jeden Aspekt des Spiels anbieten und den kompletten Spieler fordern.“

Ikonen verlieren ihre Identität

Dass nadelöhrschmale Fairways und wucherndes Kraut am Rand nicht reichen, hat sich bei DeChambeaus US-Open-Triumph in Winged Foot gezeigt. Nur komplette Plätze fordern den kompletten Spieler – Ensembles wie der Old Course oder Royal Melbourne oder andere Preziosen, die bereits ihre Turniertauglichkeit verloren haben.

Auf Dauer müssen solche Ikonen ihrer Identität beraubt werden, um mit der Entwicklung des Sports Schritt halten zu können. Damit verlieren sie hingegen ebenso ihre Bedeutung. Es wäre, als würde man Notre Dame klimaneutral, energieeffizient, mit Wärmedämmung, Smart-Home-Installation und Photovoltaik-Paneelen auf dem Dach wieder aufbauen. Das kann nicht im Sinne der Erfinder sein. Und muss übrigens auch all jene interessieren, denen es eigentlich egal ist – frei nach der Devise: Ich schlage eh nur maximal 180 Meter weit, was interessieren mich also Turnierplätze und deren Probleme mit nicht mal einem Prozent der golfenden Gesamtpopulation?

Ohne Säulen kein stabiles Gebäude

Die Antwort: Ohne tragende Säulen oder Wände sind Gebäude nun mal wackelig und einsturzgefährdet, buchstäblich ohne Bestand, metaphorisch gesehen flüchtige Phänomene, die dem Zeitgeist wenig Widerstand leisten. Da braut sich was zusammen im Golfsport; die spielbestimmenden Faktoren, hier der Parcours und seine Hindernisse, dort der Mensch und das Material, driften immer weiter auseinander, werden zunehmend unvereinbar. Die Verbände sollten sich was einfallen lassen. Mit einer Verkürzung der Driverschaftlängen allein ist das Problem jedenfalls nicht zu lösen.

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