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Bryson DeChambeau: Das Paralleluniversum des neuen US-Open-Champions

21. Sep. 2020 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Bryson DeChambeau, Champion der US Open 2020. (Foto: Getty)

Bryson DeChambeau, Champion der US Open 2020. (Foto: Getty)

Was ist nicht alles geschrieben worden über Bryson DeChambeau in den vergangenen Monaten und Jahren. Über die völlig neue wissenschaftliche Herangehensweise des studierten Physikers an Golf, über seine gleichlangen Eisen im 7er-Maß. Über seine langwierigen Schlagvorbereitungen und die daraus resultierenden Slow-Play-Vorwürfe, die er gern damit verteidigt, dass er dafür ja immerhin schneller gehe. Über die Selbstgespräche mit sich und dem Ball, den kryptischen Datenaustausch mit seinem Caddie oder einem Technik-Freak wie Phil Mickelson, die einen wie Dustin Johnson in die Flucht schlagen, „weil ich Kopfschmerzen kriege, wenn ich Euch noch länger zuhöre.“


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A week our champion will never forget!

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Zuletzt über seine Transformation vom geschmeidigen Golfer zum bulligen „Hulk mit dem Holz“, als er sich während des Corona-Lockdown fast 20 Kilogramm Körpermasse antrainierte und -futterte und beim Restart der PGA Tour mit einem ungeschlachten, eckigen, brachialen Schwung zurückkehrte, der Fairways aufs Format von Flokatis schrumpfen und Ästheten des Spiels sich mit Grausen abwenden lässt.

„Wissenschaft hat jedes Mal funktioniert“

Ausgerechnet in Winged Foot und auf dem „Killer“ West Course hat sich der 27-Jährige für alle Mühen belohnt – nicht allein dank der 2,25 Millionen Dollar Siegprämie. Er hat vielmehr seine so abstrakt wirkende Auffassung von erfolgreichem Golf vor aller Welt am Fernsehschirm auf ziemlich beeindruckende Weise bestätigt und seine zahlreichen Kritiker eines Besseren belehrt: „Ich habe mich schon so oft auf die Wissenschaft verlassen, und es hat jedes Mal funktioniert. Vielleicht kann ich einige Leute mit diesem anderen Weg zur Nachahmung inspirieren.“


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Wining the U.S. Open is the culmination of a lot of hard work ?

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Wo die Konkurrenz mit den Tücken der extrem schmal konturierten Fairways kämpfte, kraftmeierte DeChambeau einfach drüber weg. Wo andere sich im fetten Rough fast die Handgelenke verbogen, muskelte er den Ball mühelos Richtung Grün. Dabei profitierte er im Besonderen von seinen 298 Metern durchschnittlicher Drive-Distanz: „Wenn bei einer wahrhaften US Open jedermann jede Menge Fairways verpasst, dann ist ein Wedge aus dem Rough schlichtweg einfacher zu kontrollieren als ein Eisen 7“, attestierte Bernd Wiesberger via Twitter.

Auf dem Weg zum Triumph traf der neue US-Open-Champion („Mein Selbstbewusstsein ist auf einem Allzeit-Hoch“) bloß 22 der 56 Fairways, spielte dennoch als Einziger des Felds an keinem Tag über dem Platzstandard von 70 und blieb auch mit phänomenalen -6 fürs Turnier einsam unter Par. Das sagt alles. Oder wie US-Medien meldeten: Es gab bei der 120. US Open 143 Teilnehmer von dieser Erde und einen aus einer anderen Welt.

Bryson DeChambeau: Die emotion...

Alle Insignien einer Karriere im US-Golf

Gut formuliert, um diesen „Mad Scientist“, den „verrückten Wissenschaftler“ Bryson DeChambeau zu erklären, der für den Moment „das Handbuch zum Gewinn einer US Open neu geschrieben hat“ (Europas 2014er-Ryder-Cup-Skipper Paul McGinley) und als Dritter nach Jack Nicklaus und Tiger Woods die drei wichtigsten Insignien einer amerikanischen Golfkarriere in Händen hält: die NCAA-College-Einzelmeisterschaft (2015), die US Amateur Championship (2015) und die US Open. Der Mann, der vor Kraft kaum laufen kann und neuerdings am Ball steht, als wolle er auf rückenschädliche Weise einen gusseisernen Gullydeckel aus dem Boden wuchten, lebt letztlich in einem Paralleluniversum.

Dort besteht der Himmel vermutlich aus Golf-Algorithmen und Formeln zum Wechselspiel zwischen Schwungtempo, Ballspeed und Erdkrümmung oder dem Einfluss der Corioliskraft aufs Putten. Deshalb vermisst DeChambeau Grüns mit dem Zirkel, weil er den Yardage Books nicht traut, was ihm mittlerweile verboten wurde; nässt bei frühen Startzeiten per Sprühflasche die Übungsgrüns und trainiert taufeuchtes Putten; oder jagt – wie jetzt bei der US Open – nächtens auf der Driving Range im kurzärmligen Hemd stundenlang Bälle ins finstere Nirgendwo, um die kühleren Temperaturen von Winged Foot zu simulieren und seine Wedge-Längen für die höhere Luftdichte zu kalibrieren, während seine Entourage kälteschnatternd drumherum steht. Was er dabei erkennt und analysiert, dass weiß lediglich er selbst.

Durch Koepka zu mehr Physis animiert?

Gar nicht zu reden von seinen hollywoodreifen Selbstexperimenten und der daraus resultierenden Muskelmetamorphose, zu denen er sich angeblich durch die Physis des vierfachen Majorsiegers Brooks Koepka animieren ließ, die alle körperlichen Bedenken der Hau-drauf-Hybris um jeden Preis ignorieren und von vielen Experten auf Dauer als schädlich angesehen werden. Unsereins jedenfalls fallen da umgehend „Bruce Banner“ sowie dessen Gammastrahlen-Versuche ein …


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US Open Pizza Review - Sals (Mamaroneck, NY) With @usopengolf champion @brysondechambeau

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Dabei ist es durchaus nicht so, als würde DeChambeau den Außenstehenden keine Fenster zu seiner Dimension öffnen. Er ist alles andere als introvertiert, was sich nicht zuletzt zeigt, wenn er im offenen Bentley Cabriolet durch seine Heimatstadt Dallas cruist. Und über sein Verständnis von Golf und der eigenen Welt redet er ohnehin liebend gern. Meist ausschweifend, oft unverständlich, gelegentlich ziemlich schräg – siehe sein Ziel, 130 oder 140 Jahre alt zu werden. Irgendwann stellt sich beim Gegenüber freilich das Johnson‘sche Phänomen ein, siehe oben.

Maximal-Driver und 340 Meter

Was indes hängen bleibt, sind ein paar Ansagen des Muskelmanns. Es soll nämlich in Verballhornung des olympischen Mottos noch schneller, höher, stärker werden. Demnächst will DeChambeau zum Driver mit 122 Zentimeter langem Schaft greifen – das ist die maximal erlaubte Länge von 48 Inch, normal sind 43 bis 46 Inch, DeChambeaus aktuelles Holz 1 misst 45,75 Inch, das sind 116 Zentimeter – und kündigt Tee-Granaten von 340 Metern und mehr an. Mal sehen, wie er sich damit im November beim Masters auf einem Parcours schlägt, der statt schierer Power deutlich mehr Strategie verlangt …

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