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Warten auf Tiger: Vor dem 86. Masters dreht sich mal wieder alles um Woods

29. Mrz. 2022 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Tiger bei seiner Aufnahme in die World Hall of Fame (li.) und als Gastgeber des Genesis Invitational (re.). (Foto: Getty)

Tiger bei seiner Aufnahme in die World Hall of Fame (li.) und als Gastgeber des Genesis Invitational (re.). (Foto: Getty)

Literatur-Nobelpreisträger Samuel Beckett und sein Klassiker des absurden Theaters um den ominösen Godot taugen stets trefflich, wenn es solche Situationen zu beschreiben gilt. Nächste Woche ist Masters, und für den Golf-Kosmos heißt das vor allem: Warten auf … Tiger.

Nebenrollen und Zeitvertreib

Alles andere ist derzeit Spielerei. Scottie Schefflers neue Favoritenrolle, Rorc McIlroys nächster Anlauf zum Karriere-Grand-Slam, Phil Mickelsons Abstinenz, Hideki Matsuyamas Champions Dinner, selbst die neuerlichen Umbaumaßnahmen, mit den Augusta National das Design von Alister MacKenzie und Bob Jones gegen die Maßlosigkeit der Golf-Moderne zu wappnen trachtet – sämtlichst irgendwie Beschäftigungstherapie. So, wie Becketts zwei Landstreicher Estragon und Wladimir sich die Zeit mit allerlei Spielen vertreiben, derweil immer mal wieder ein Bote mit vertröstenden Nachrichten in Sachen Godot auftaucht. Oder das Erscheinen des Herrn Pozzo und seines Dieners Lucky bei der Zerstreuung hilft.

Geht es? Und wenn ja: Was geht?

Woods lässt uns zappeln. Nicht bewusst natürlich. Der alte Tiger hätte das vielleicht getan, misstrauisch und soziophob, abweisend und entrückt, wie er damals war. Der neue, längst geläutert in den tiefen Tälern von Schmerz und Depression, die er bereits wegen seines kaputten Rückens durchlebt hat, wüsste vermutlich selbst gern, ob was geht beim ersten Major 2022? Ob es überhaupt geht? Und wenn es geht, was geht dann? Fürs Champions Dinner hat er jedenfalls zugesagt, sogar eine Teilnahme am Par-3-Contest wortwörtlich nicht ausgeschlossen. Aber darüber hinaus?

Niemand weiß genaues nicht. Wahrscheinlich nicht mal Woods selbst. Er hat zwar immer erklärt, dass er weit entfernt sei vom Potenzial und besonders von der Physis, vier Turnier- und die dazugehörigen Einspielrunden zu bewältigen. Aber er hat dieses 86. Masters auch noch nicht abgesagt. Das rechte Bein zuvorderst, beim fürchterlichen Autounfall im Februar vergangenen Jahres schwerst verletzt und nahe einer Amputation, muss den Belastungen des Wettbewerbs standhalten.

Wettbewerbssimulation in The Medalist

Woods hat dies für die nahe Zukunft mehrfach ausgeschlossen, kann und will ohnehin keine komplette Saison auf der PGA Tour mehr spielen. Freilich, das hat er nie getan, sich mit Beginn der 2000er-Jahre, seiner Hoch-Zeit, stets die Rosinen raus gepickt. Darauf wies zuletzt der „getreue Joe“ hin, Woods’ Caddie LaCava.

Der Looper war gerade in Jupiter/Florida und sorgte an der Seite seines Chefs für die nächsten Schnipsel der Masters-Mutmaßungen. Woods spielte und lief seinen Heimatplatz The Medalist ab, simulierte den Ernstfall. Die Fan-Gemeinde schaut gebannt auf das, was an die Öffentlichkeit dringt, und drückt die Daumen.

Das tut sie in menschlicher Hinsicht sowieso seit jenem 23. Februar 2021, und die Woods-Sichtungen seither befeuern gleichermaßen den sportlichen Aspekt des Mitgefühls: Die ersten Bilder im Cart mit Hund nach langer Funkstille. Woods auf Krücken und beim ungelenken Stufensteigen ohne Krücken. Die halben Übungsschwünge währen der Hero World Challenge und der neuerliche Auftritt mit Sohnemann Charlie bei der PNC Championship – wenngleich als Scramble und im Cart ein Muster ohne wirklichen Wert. Dann die „unbestrumpfte“ Ankunft zur Aufnahme in die World Golf Hall of Fame. Jüngst der Umstand, dass er auf der Masters-Webseite weiterhin unter den Teilnehmern geführt wird. Schließlich The Medalist.

Schlagzeilen um Tiger-Slam-Schlägersatz

Zwischendurch machte die Auktion eines womöglich nicht mal authentischen Schlägersatzes Schlagzeilen, mit dem Woods angeblich 2000/2001 den Tiger-Slam gewonnen hat, und bei dem insbesondere die punktgenaue Abnutzung am Schlägerblatt von der Präzision zeugt, mit der Woods seinerzeit zu Werke ging.

Ähnliche Akkuratesse trainiert er dieser Tage im Hinterhof, auf der Kurzspielanlage seines Anwesens in Jupiter, für die er sich unlängst vom Augusta National Golf Club einen Greenkeeper auslieh, um die Rasen-Verhältnisse beim Masters – Grassorte, Grünsgeschwindigkeit – möglichst 1:1 nachzubilden. Trotz aller Beschwichtigungen: Das alles nährt Hoffnung; die stirbt bekanntlich ohnehin zuletzt.

Stoff für überhöhte Existenzphilosophie

Wir tun mit beim Daumendrücken. Der Autor jedenfalls. Früher hat Woods polarisiert, da waren Neutralität und pure Chronistenpflicht einfach. Heute nötigt er Anteilnahme ab, aus Hochachtung vor dem Menschen, der unmenschliches geleistet und bewältigt hat. Der sich neu erfunden hat. Unbenommen aller wirtschaftlichen Möglichkeiten: Sportlich war Woods fertig, erledigt, „done“. Mehrfach. Trotzdem kam er wieder. Fernab der Fakten war und ist diese Metaphorik „unverschnittener“ Stoff für überhöhte Existenzphilosophie.

Schon 2018 hätte es kaum jemand für möglich gehalten, der Verfasser dieser Zeilen jedenfalls nicht. Erst recht nicht den Gewinn der Tour Championship und den fünften Masters-Triumph im April des Folgejahrs. Käme der Tiger jetzt erneut wieder, mit Erfolg zumal, wäre das endgültig ein Comeback von Ben Hogan’scher Dimension.

„Nicht bloß irgendwie dabei sein“

Erfolg: Genau hier findet sich bei seiner anstehenden Entscheidung das Zünglein an der Waage. „Ich tue mir all die Mühen und die Schmerzen nicht an, um irgendwie wieder dabei zu sein“, hat Woods während des Genesis Invitational gesagt, als der Gastgeber von den Kommentatoren des übertragenden Senders „CBS“ zur eigenen Zukunft gelöchert wurde. „Wenn ich spiele, will ich um den Sieg mitspielen. Oder zumindest mit der Zuversicht antreten, die anderen Jungs da draußen schlagen zu können.“


„Tiger ist keiner, der in Kategorien à la ,Schaut mal, ich hab zum ersten Mal wieder 18 Loch geschafft’ denkt. Entweder ,Big News’ oder gar keine Nachrichten, so tickt er. Deswegen ist es absolut möglich, dass er seine Reha-Fortschritte komplett herunter gespielt hat, um Spekulationen zu vermeiden und weiterhin in Ruhe und ohne Erwartungen an sich und an einem Comeback arbeiten zu können.“

Dan Rapaport, „Golf Digest“


Und das Masters ist ja nicht irgendein Turnier, für Woods sowieso nicht. Vor 25 Jahren (!) legte der damals 21-Jährige im Augusta National Golf Club als bis heute jüngster Sieger mit dem Rekordvorsprung von zwölf Schlägen auf Tom Kite den Grundstein für seine Strecke von 15 Majors und für eine in dieser Form unvergleichliche Karriere.

Die Achterbahn von Augusta

Allerdings, The Medalist taugt nur bedingt zum endgültigen Eignungstest. Der Kurs ist topfeben im Vergleich zur Achterbahn von Augusta, die im Fernsehen nie als dieses Auf und Ab rüber kommt, das sie tatsächlich ist: bei 45 Metern Differenz zwischen dem ersten Grün als höchstem Punkt des Platzes und dem elften Grün als tiefstem; bei Höhenunterschieden von bis zu 27 Metern auf einzelnen Bahnen; oder beim Gefälle auf „Camellia“, der 453 Meter langen Par-4-Zehn, wo’s von der Teebox zum Grün über 30 Meter nach unten geht.

Außerdem trügt die Gesamtdistanz des Geläufs auf der Scorekarte. Zu den 6.835 Metern von den Masters-Tees addieren sich laut „Golf.com“ weitere 2.414 Meter zwischen Grüns und dem nächsten Abschlag oder an Gehwegen auf den Grüns. Summa summarum 9.249 Meter oder 11.451 Schritte. Und das als Rehabilitant – eine heftige Herausforderung.

Finaler Härtetest auf dem Masters-Geläuf

Deswegen war klar, dass die Entscheidung erst nach einem finalen Härtetest zwischen „Tea Olive“ und „Holly“ fallen würde. Eine Meldefrist oder so gibt’s eh nicht, die Einladung der Granden in Grün gilt, bis einer von sich aus absagt. An Woods’ Wollen wird es ebenfalls nicht scheitern, allenfalls am Können.

In Becketts „Warten auf Godot“ taucht die Titelfigur während der Laufzeit des Stücks nicht auf, das Werk gilt daher – wenig passgetreu und der inhaltlichen Dimension unangemessen – als Synonym für langes, letztlich vergebliches Ausharren. In unserem Fall hingegen hat der Protagonist wenigstens schon mal die Bühne betreten.

Gestern Vormittag Ortszeit landete TW mit seinem Privatjet auf dem Flughafen von Augusta und absolvierte gemeinsam mit Filius Charlie und Kumpel Justin Thomas eine Runde auf dem „heiligen Rasen“ an der Magnolia Lane. „Für mich sah er gut aus“, zitiert „ESPN“ einen Insider. Will heißen: Beim „Warten auf Woods“ ist der Vorhang definitiv noch nicht gefallen.

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